STUTTGART. Mit Zwangsjacke und Hannibal-Lecter-Maulkorb ließ sich Disturbed-Sänger David Draiman vor 11.000 Zuschauern in die fast ausverkaufte Schleyerhalle fahren. Zur Mitte der 105-minütigen Show wurde der Frontmann der Band in orangefarbener Sträflingskleidung auf einem elektrischen Stuhl scheinbar hingerichtet, bevor er mit Kunstblut verschmiert wieder aufstand und performte. Die Szene erinnerte an die Guillotine von Alice Cooper. Sein langjähriges Markenzeichen – ein auffälliges Gesichtspiercing – hat Draiman mittlerweile entfernt.
Die US-Gruppe – mit dem Gitarristen Dan Donegan und Schlagzeuger Mike Wengren sind neben Draiman noch zwei weitere Gründungsmitglieder dabei, einzig Bassist Jon Moyer stieß erst 2004 zur Band – spielten zwei Sets, unterbrochen von einer 20-minütigen Pause. Zunächst gab es alle Lieder ihres 2000er-Debütalbums »Down with the Sickness« in der Reihenfolge der Plattenaufnahme. »Down with the Sickness«, das als Klassiker des Nu Metal gilt, während spätere Alben eher dem Alternative Metal oder Hard Rock zugeordnet werden, ist mit knapp sechs Millionen verkauften Tonträgern bis heute das meistverkauften Album der Band.
Auftritt mit Horror-Maskottchen
Nach der Pause erschien dann das Horror-Maskottchen der Band – genannt »The Guy« – in Form eines überlebensgroßen Luftballons auf der Bühne und die Band spielte ein Greatest-Hits-Set, darunter »10.000 Fists in the Air« sowie das Genesis-Cover »Land of Confusion«. Als stimmungsvolle Balladenversion – sparsam orchestriert mit einem brennenden Klavier und Streichern im Hintergrund – beeindruckte der Simon-and-Garfunkel-Klassiker »Sound of Silence«.
Der aus einer jüdisch-orthodoxen Familie stammende Disturbed-Frontmann hatte nach dem Hamas-Überfall mit einer kontroversen Aktion für Aufsehen gesorgt, als er beim Besuch einer israelischen Kaserne ein israelisches Geschoss mit »Fuck Hamas« beschriftete. In Stuttgart rief Draiman in seinen Ansagen zu Frieden und Versöhnung auf – wie es auch der Haltung der Band entspricht, deren Logo Davidstern, Kreuz, Halbmond und Pentagramm enthält.
Metal-Ikone als Vorgruppe
Für Diskussionen in der Fanszene hatte die Wahl der Vorgruppe Megadeth gesorgt. Denn die Band um Metallica-Gründungsmitglied Dave Mustaine – er flog bereits kurz vor dem ersten Album wegen Alkoholismus aus der Band – wurde in den 1990ern mit Anthrax, Slayer und Metallica zu den »Big Four« des amerikanischen Thrash Metal gezählt.
Unter Bewunderern des virtuosen Gitarrenspiels genießen Megadeth Legendenstatus, weshalb einige Traditionalisten unter den Stuttgarter Fans sie eher als Headliner sahen. Immerhin hat Megadeth für das kommende Jahr ein finales Album und eine Abschiedstour angekündigt.
Wer jedoch die eher puristische Bühnenpräsenz und den nuschelnden Gesang des stets zu Boden blickenden letzten Megadeth-Gründungsmitglieds Mustaine – der Rest der aktuellen Formation stieß erst zwischen 2016 (Drummer Dirk Verbeuren) und 2023 (Leadgitarrist Teemu Mäntysaari) dazu – der bombastischen Bühnenshow von Disturbed gegenüberstellte, musste anerkennen, dass Disturbed ihrem Headlinerstatus gerecht wurden.
Persönliche Verbindungen
Dennoch begeisterten Megadeth mit einem grandiosen Sound und Hits wie »Symphony of Destruction« und »Peace sells … but who is buying it« die Massen. Sie als Support zu buchen, war echter Fanservice. Eingefleischte Fans erinnerten sich auch daran, dass Disturbed-Sänger Draiman 2013 als Gastsänger im Song »Dance in the Rain« auf dem Megadeth-Album »Super Collider« zu hören war. Möglicherweise spielten persönliche Freundschaften bei der gemeinsamen Tour eine Rolle. (GEA)



