Logo
Aktuell Leute

Die Kamera als Auslöser - für Begegnungen: Die Stipendiatin Lilli Weinstein

Als Stipendiatin im Kulturpark RT-Nord sammelt die Fotografin Lilli Weinstein Geschichten, trifft Menschen, gibt ein Magazin heraus und präsentiert ihre Arbeit nun beim Festival Kultur vom Rande in der Reutlinger Citykirche.

Ein eigenes Lied macht glücklich: Lilli Weinstein (links) und Rebekka.
Ein eigenes Lied macht glücklich: Lilli Weinstein (links) und Rebekka. Foto: Thomas Morawitzky
Ein eigenes Lied macht glücklich: Lilli Weinstein (links) und Rebekka.
Foto: Thomas Morawitzky

REUTLINGEN. In ihrem Atelier hängen die Entwürfe zu vielen Seiten eines Magazins an den Wänden, das das Leben in Rappertshofen widerspiegeln soll. Rappertshofen ist eine Einrichtung, in der Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung betreut werden. Sie alle haben eine Geschichte; sie erleben Geschichten, immer dann, wenn sie anderen Menschen begegnen, wenn sie Lilli Weinstein begegnen, derzeit Stipendiatin im Kulturpark RT-Nord. Seit 2017 existiert der Kulturpark am Rande Rappertshofens. Jährlich schreibt die Habila GmbH als Trägerin des Kulturparks ein Stipendium aus. Gesucht werden Künstler, Künstlerinnen – Lilli Weinstein ist die erste Fotografin, die das Stipendium erhalten hat.

Für die 27-Jährige ist ihr Arbeitsaufenthalt in Rappertshofen eine unwahrscheinliche Fügung der ganz persönlichen Art. Gegenüber dem Kulturpark liegt ein Gelände, auf dem sich einst ein Heim für sogenannte schwer erziehbare Mädchen befand, das später zu einem Flüchtlingsheim umgestaltet wurde. Und eben dort arbeitete Lilli Weinsteins Mutter, für das DRK, und lernte Lilli Weinsteins Vater kennen, der nach der Wende als jüdischer Immigrant aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen war. Die junge Familie zog nach Ludwigsburg. Und doch ist die Tochter nun da, blickt aus dem Fenster und denkt an ihre Mutter, die zu jener Zeit im gleichen Alter war wie nun sie selbst. »Sehr seltsam ist das!«, sagt sie.

Ein Ort der besonderen Begegnung

Gerade am Ort, an dem sich ihre Eltern zum ersten Mal begegneten, spürt Lilli Weinstein nun menschlichen Begegnungen nach. Denn dies sieht sie als Kern ihrer Arbeit in Rappertshofen an. »Die Kamera«, sagt sie, »ist für mich eher eine Ausrede dafür, Menschen treffen zu können.«

Lilli Weinstein beschreibt sich selbst als eher schüchtern. »Es fällt mir schwer, auf Menschen zuzugehen«, sagt sie. Die Kamera hilft dabei, lässt Gespräche entstehen, dokumentiert Begegnungen, die die Fotografin in eine konzeptuelle Arbeit überführt. Ihr Interesse gilt den Schnittstellen zwischen künstlerischer und sozialer Arbeit. Lilli Weinstein: »Und Rappertshofen passt dazu sehr gut, denn hier leben viele Menschen dicht und doch zugleich isoliert zusammen. Es gibt wenige zufällige Begegnungen.«

Geschichten aus Rappertshofen

Dreimal soll das Magazin erscheinen während Lilli Weinsteins Stipendium, als bunte Mischung Rappertshofer Geschichten, gedruckt in der Reutlinger Bruderhaus-Diakonie auf gutem Papier in kleiner Auflage. Die Seiten der ersten Ausgabe wird die Künstlerin an diesem Wochenende mit einer Ausstellung in der Reutlinger Citykirche präsentieren. Lilli Weinstein sprach mit einer Bewohnerin, die viele Jahre in Rappertshofen verbrachte und die Einrichtung doch nicht als ihr Zuhause ansieht; sie gestaltete Seiten gemeinsam mit Robert, einem modebegeisterten Bewohner, ganz ohne Worte, aber mit viel Bild. Und sie schrieb ein Lied, gemeinsam mit Rebekka. »Es war schon immer mein Traum, ein Lied zu haben«, sagt Rebekka. »Wenn es mir gut geht, dann hat es seinen Zweck schon erfüllt.«

Ausstellungsinfo

Lilli Weinsteins Ausstellung in der Reutlinger Citykirche wird am Sonntag, 18. Mai, um 11 Uhr eröffnet. Sie ist während des Festivals Kultur vom Rande (bis 24. Mai) täglich von 11 bis 18 Uhr zu sehen. (GEA)

Auch Lilli Weinstein profitierte wiederum von dieser Arbeit – denn die Künstlerin getraute sich zuvor eher nicht, vor anderen Menschen zu singen. Keine Chance bei Rebekka. »Sie ist eine wirklich hemmungslose Sängerin, sie hat mich einfach mitgerissen. Vor ein paar Wochen hat sie sogar ihre Karaoke-Box mitgebracht.« Und so sitzen beide nun im Sonnenschein vor dem Kulturpark RT-Nord und singen gemeinsam Rebekkas Lied. (GEA)