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Aktuell Musiklesung

Die gute Fee des Balletts: George Bailey im Reutlinger Kunstverein

Gute-Laune-Phänomen und Entertainer von Format: Eine unterhaltsame Musiklesung mit Autorin Susanne Wiedmann und Jazzpianist George Bailey im vollen Kunstverein Reutlingen.

Jazz- und Ballettpianist George Bailey versprühte Esprit und gute Laune bei der Musiklesung.
Jazz- und Ballettpianist George Bailey versprühte Esprit und gute Laune bei der Musiklesung. Foto: Jürgen Spiess
Jazz- und Ballettpianist George Bailey versprühte Esprit und gute Laune bei der Musiklesung.
Foto: Jürgen Spiess

REUTLINGEN. George Bailey ist ein Gute-Laune-Phänomen. Nicht nur, dass er es versteht, im lockeren und witzigen Dialog mit der Kulturjournalistin und Tanzdramaturgin Susanne Wiedmann über den Alltag des Stuttgarter Balletts zu erzählen. Er ist auch ein Meister darin, eine Atmosphäre zu schaffen, die der einstige Erste Solist Friedemann Vogel so beschrieb: »Wenn George den Raum betrat oder im Training war, war das immer Musik, die das Herz berührte.«

Eine Lesung der ungewöhnlichen Art erlebten am Samstagabend die Besucher im vollbesetzten Kunstverein, als Susanne Wiedmann ihre Biografie über George Bailey mit dem Titel »Cranko, Haydée – und ich« vorstellte. Bereits bevor die Veranstaltung offiziell begann, saß der elegante US-Amerikaner mit dem prägnanten Lachen am Steinway-Flügel und stimmte das Publikum ein. Denn sobald er sich von seinem Klavierhocker erhob, fing er auch schon gestenreich mit Erzählen an über sein Leben in der Stuttgarter Ballett-Kompanie, die er mehr als 40 Jahre begleitete. Dort waren nicht nur seine pianistischen und charakterlichen Vorzüge gefragt, er choreografierte auch kleine Stücke selbst. Zudem inspirierte sein schauspielerisches Talent Choreografen wie Marcia Haydée und John Neumeier, eigene Rollen für ihn zu kreieren.

Berufswunsch Modedesigner

Eigentlich wollte der in einer Musikerfamilie aufgewachsene Bailey Modedesigner werden. Doch sein Großvater, ein bekannter Geiger, dessen Haus Treffpunkt für Musiker wie Duke Ellington und Count Basie war, öffnete ihm die Welt des Jazz. So nahm er bereits als Fünfjähriger Klavierunterricht bei seiner Mutter, studierte später an der University of Denver Kunst und Musik. Nachdem er beinahe zum Vietnamkrieg eingezogen worden wäre, leistete er seinen Militärdienst bei der US-Army in Heidelberg, arbeitete danach in der Modebranche und lernte 1971 den Stuttgarter Ballettdirektor John Cranko auf der Party eines Zahnarztes kennen.

1972 engagierte der legendäre Intendant des Stuttgarter Balletts Bailey als Pianist und Korrepetitor, obwohl dieser beim ersten Vorspielen das falsche Klavierkonzert mitgebracht hatte und es noch nicht einmal spielen konnte. Doch Cranko hatte nach eigenen Worten »noch nie so ein schönes Privatkonzert gehört« und stellte den damals 28-jährigen Pianisten ein: »Zu Beginn war es für mich ein großer Schock«, erzählte Bailey, »denn die jungen Tänzerinnen haben alle geraucht.« Doch nach und nach wird der stets gut gelaunte Pianist zur guten Fee der Kompanie und zum Lieblingspianisten von Star-Choreograf John Neumeier.

Entertainer-Qualitäten

Susanne Wiedmann las Passagen aus der Biografie des 1944 geborenen Afroamerikaners; dazwischen konnte Bailey seine Qualitäten im Gespräch und am Steinway-Flügel ausspielen. Im eleganten roten Frack mit schwarzem Cape und Fliege spielte der 80-Jährige Spirituals und Jazzklassiker wie »What a Wonderful World« und machte seinem Ruf als unwiderstehlicher Entertainer alle Ehre. Schließlich ließ sich Marcia Haydées Aussage »George hat die besondere Fähigkeit, zu verstehen, was die Choreografen wollen«, auch ohne Abstriche auf das am Ende mitsingende Publikum übertragen. (GEA)