REUTLINGEN. Wenn Philip Weberndörfer ins Reden kommt, nimmt der Jazz nur bedingt eine Auszeit. Bei seinem Auftritt am Samstag im leidlich gefüllten Reutlinger Jazzclub in der Mitte plaudert der Gitarrist in der Pause angeregt mit Gästen über seine Musik, erzählt zwischen den Stücken kurze Anekdoten zu den Stücken, seiner neuen Heimat und seinem Werdegang.
Wie er 2016 von Nürnberg nach New York kam und wie ihn die Traumstadt aller Jazzmusiker inspiriert hat. Dort lernte er auch seine Mitmusiker kennen, die alle aus unterschiedlichen Ländern stammen: Tenorsaxofonist Jure Pukl ist in Slowenien geboren, studierte in Wien und Den Haag und lebt nach einem längeren Aufenthalt in New York mittlerweile in Ljubljana, wo er an der Musikakademie der Universität als Assistenz-Professor tätig ist. Kontrabassist Dominic Duval ist gebürtiger New Yorker und nicht zu verwechseln mit seinem Vater, dem bekannten Avantgarde-Bassisten gleichen Namens. Drummer Peter Traunmüller kommt aus Salzburg und lebt seit 2012 in New York, wo er mit verschiedenen Musikern und Gruppen zusammenarbeitet.
Subtile rhythmische Muster
Bei ihrem anderthalbstündigen Konzert zeigt das Quartett, wo die Stärken instrumentaler Musik liegen. Dieses ewige Strophe-Refrain-Schema engt einfach zu sehr ein, scheint die Band zu uns zu sprechen. Sie sprengen lieber das Korsett, werden in der Fläche ausufernd, in der Breite impulsiv, an den Rändern ausfransend, in der Mitte auch mal streng, minimalistisch. Egal wie man das Ganze am Ende nennen soll, Vorbilder für diese Art Jazz ohne Piano und abwechselnd mit E-Gitarre und Tenorsaxofon im Vordergrund gibt es eher wenige. Risikobereitschaft und die Vielfalt subtiler rhythmischer Muster werden bei diesem Quartett großgeschrieben.
Mal bemüht die E-Gitarre von Bandleader Weberndörfer eine eher nachdenkliche und sperrige Melodie, dann wieder dehnt Bassist Dominic Duval seine Improvisationen bis ins Unendliche, oder Jure Pukl umkreist mit seinem Tenorsaxofon die Teile einer zerborstenen Melodie. Zuweilen erinnern die Improvisationen an die New Yorker Downtown-Szene im Dunstkreis der Knitting Factory, an eine Zeit der radikalen musikalischen Manifeste. Aber es gibt auch ruhige, lyrische Momente, etwa in dem Bergsteiger Reinhold Messner gewidmeten »Low Gravity« oder das ebenfalls von Weberndörfer komponierte »One Of These Days«.
Freie Improvisationslinien
So viel Freiheit seine Mitspieler auch in ihren Soli haben, in den Bandarrangements müssen sie funktionieren wie gut geölte Maschinen. Leicht ist dieser Jazz nicht zu haben. Ohnehin ist die Absicht, Energie und freie Improvisationslinien zu vereinen, einer der Motoren des Philip Weberndoerfer Quartets. Immer wieder ufern die Stücke aus, öffnen sich die Strukturen in improvisierte Räume. Hier geht es nicht nur um Jazz, es geht um mehr. Um kindliche Unschuld, Neugier, um die Freiheit des Jazz. (GEA)