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Aktuell Kaleidoskopreihe

Die Breakdancer besuchen den Bergkönig

Die Württembergische Philharmonie mit »Urban Dance trifft Klassik« in der Reutlinger Stadthalle.

Tänzer bereicherten das Kaleidoskop-Konzert in der Stadthalle Reutlingen
Tänzer bereicherten das Kaleidoskop-Konzert in der Stadthalle. Foto: Thomas Morawitzky
Tänzer bereicherten das Kaleidoskop-Konzert in der Stadthalle.
Foto: Thomas Morawitzky

REUTLINGEN. Zur Rechten des Orchesters bleibt am Donnerstag Raum frei auf der Bühne in der Reutlinger Stadthalle: Raum für den Tanz, Breakdance, für den »Urban Dance«, der an diesem Abend auf die Klassik trifft. Eine Begegnung, bei der beide Seiten einen großen Eindruck hinterlassen: Die Württembergische Philharmonie, die sehr klangvoll nicht nur die Werke klassischer Komponisten aufsucht, und Samutilio’s Dance Ensemble mit vier Tänzern aus Helsinki und der Türkei, spezialisiert auf eben jenen Tanzstil, der ursprünglich Teil der Hip-Hop-Kultur war, hier choreografiert von Levent Gürsoy, der in Stuttgart lebt, sich den Künstlernamen Samutilio gegeben hat und bereits am Staatstheater Karlsruhe und am Theaterhaus Stuttgart arbeitete.

Tänzer bespielen Viertel der Fläche

Sehr viel größer natürlich ist der Raum, den die veranstaltende Philharmonie auf der Bühne einnimmt. Die Tänzer bespielen etwa ein Viertel dieser Fläche, manchmal einzeln, manchmal als Gruppe, verbinden ihre eigene Disziplin, die Moves des Breakdance, die hohen, kunstvollen Sprünge, die Wirbel, mit Momenten emotionalen Ausdrucks, selbstbewusster Ästhetik, die sich dem klassischen Ballett annähern – was ungewöhnlich genug ist, ist doch der Breakdance als Genre ursprünglich ganz artistisch ausgerichtet, als Präsentation schwieriger, körperlich sehr anspruchsvoller Bewegungsfolgen, als Wettbewerb mit athletischen Zügen.

Auch im Zusammenspiel mit der Philharmonie kommt das zum Tragen – wenn drei Tänzer beisammen stehen, die Sprünge, Bewegungen des vierten beobachten. Dieser Kampf wird hier ganz Choreografie, die Breakdance-Kultur wird selbst Gegenstand der Inszenierung und die Gruppe, aus der die Tänzer hervortreten, zu einer dynamischen, körperlichen Einheit, in die sie sich immer wieder auch zurückziehen, die sich gemeinsam bewegt, deren Einzelteile sich Halt geben, sich ständig aufeinander beziehen.

Und so gibt es Momente der Schwäche, wenn ein Tänzer sich bodennah bewegt, allmählich erst auf seine Beine kommt, die Gruppe ihn beobachtet, bei diesem Kampf, Momente des Triumphs, ihn denen die Tänzer ihr ganzen Können präsentieren, mit staunenswerter Körperspannung sich in die Luft hinauf schleudern, in jedem Augenblick kontrolliert, auf Händen gehen, auf einer Hand stehen, mit großer Kraft ihre Balance finden.

Dramatische Wucht

Es tanzen: Furkan Yilmaz, der es versteht, inmitten einer dynamischen Pose innezuhalten, zu gefrieren; Mehmet Gürkan Ürütürk, auch er aus der Türkei, der seinen Tanzstil der Improvisation annähert, und Emra Sevim aus Finnland, der sich auf eben jene »Powermoves« spezialisiert hat, bei denen sein Körper fliegt, von eigenen Händen getragen. An der Stelle von Oguzhan Karademir, der ursprünglich auftreten wollte, tanzt Trung Dung Nguyen.

Das Orchester spielt für diese Choreografie zwischen Ausdruck und Athletik ein Programm, das sich in zwei Teile gliedert, der erste mit »Heroes« betitelt, der zweite mit »Unterwelt«.

Jakob Brenner, als Dirigent, der gerne ungewohnte Wege geht, hat Kompositionen von Philip Glass, Händel, Prokofjew, Mendelssohn, John Williams, George Gershwin und Mozart, von Leonard Bernstein, wiederum Philip Glass, Gluck, Ralph Vaughan Williams, Rossini, Haydn, Grieg und Beethoven in der Art von zwei kleinen Suiten zusammengestellt, hat Gershwins »Promenade« dabei selbst arrangiert.

Programm der Kontraste

Das Programm steckt voller Kontraste, Steigerungen, stilistischer Wendungen – von Glass’ getragenem minimalistischem Ballett der »Heroes Symphony« über John Williams’ »Flight to Neverland« zu Gershwin, der den Tänzern komödiantische Momente gibt, zur rhythmischen, dramatischen Wucht von Bernsteins »On the Waterfront«, Vaughan Williams’ »Fantasia on Greensleeves«. Stücke dies mit populärem Anklang, zwischen denen sich die Melodien, Klanggemälde der klassischen Kompositionen klar und schön ausbreiten.

Die Ouvertüre zu »Der Barbier von Sevilla« wird von der Philharmonie ohne Begleitung der Tänzer aufgeführt – der Applaus, den sie erhält, dauert lange. Und zuletzt kehren die Tänzer nochmals wieder, geben ihre Zugabe, tanzen den Breakdance – »In der Halle des Bergkönigs«. (GEA)