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Aktuell Geburtstag

Der Reutlinger Hansjörg Hummel ist auch mit 85 rastlos aktiv

32 Jahre lang hat Hansjörg Hummel die Musikschule Reutlingen geleitet. Auch als Komponist und bildender Künstler war er immer aktiv. Jetzt ist er 85 und die Projekte gehen ihm nicht aus.

Hansjörg Hummel mit einem seiner kunstvollen Fundobjekte. In Regalen reihen sich unzählige weitere Exemplare.
Hansjörg Hummel mit einem seiner kunstvollen Fundobjekte. In Regalen reihen sich unzählige weitere Exemplare. Foto: Armin Knauer
Hansjörg Hummel mit einem seiner kunstvollen Fundobjekte. In Regalen reihen sich unzählige weitere Exemplare.
Foto: Armin Knauer

REUTLINGEN. Sich auf die faule Haut zu legen, daran ist bei Hansjörg Hummel auch mit 85 nicht zu denken. An diesem Freitag feiert er Geburtstag, und die Kreativität sprüht weiter in ihm. »Manchmal steht er mitten in der Nacht auf, weil ihm ein Gedicht einfällt«, erzählt seine Frau Heidi. Er selbst sagt: »Es rappelt, es ist immer was in Arbeit.«

Säuberlich hat er ausgebreitet, was so alles in Arbeit ist. Hier ein Stapel mit Grafiken, dort einer mit Gedichten, daneben einer mit Kompositionen. Das Komponieren geht nicht mehr so gut, die Augen machen Probleme. »Die Notenlinien schlagen Wellen«, sagt er. Seiner Frau hat er zum Geburtstag einen handgeschriebenen Band mit eigenen Gedichten überreicht. »Ein schöneres Geschenk lässt sich kaum denken«, sagt sie.

Begeisterung für Fundkunst

Mit am meisten beschäftigen Hummel Kunstwerke, die er fertig vorfindet. Eine Wurzel wie ein sich küssendes Paar. Ein Stein wie ein muskelprotzender Herkules. Ganze Regalmeter im Obergeschoss hat er mit diesen naturgeschaffenen Kleinplastiken gefüllt. »Bei Wanderungen bin ich immer hinten, weil ich am Suchen bin«, räumt Hummel ein. Manches kommt vom Urlaub in Kärnten, anderes von einer Baustelle in Reutlingen. Wie viel Kunst in diesen Fundobjekten steckt, begeistert Hummel immer aufs Neue. Ein Fundstein wie ein Werk von Modigliani. Ein Holzstück wie eine Barlach-Skulptur. Verkauft hat er kein einziges dieser Objekte. Immer wieder jedoch Ausstellungen damit bestritten, in der Kreissparkasse, in der Volkshochschule.

Lange war das Nebenschauplatz, stand ganz die Musik im Vordergrund. 1939 wurde er in Reutlingen geboren, bekam früh Klavierunterricht. Nach der Eichendorff-Realschule studierte er in Stuttgart Komposition, Klavier und Chorleitung, danach noch evangelische Kirchenmusik. Sein erster Posten, anfangs parallel zum Studium, war von 1959 bis 1971 der des Kantors und Organisten an der Betzinger Mauritiuskirche. Von 1963 bis 1970 unterrichtete er zudem an der Pädagogischen Hochschule in Reutlingen.

Kantor an der Mauritiuskirche

Schon für die Mauritiuskirche schrieb Hummel fleißig Chorsätze. Die Texte dazu lieferte teils einer, der später prominent werden sollte: Wolfgang Huber, damals Vikar, später Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Schon damals zeigte Hummel sein breitgefächertes Interesse. Zog er für seine Chorsätze doch auch Texte des römischen Philosophen Seneca heran. Oder die rätselhafte Inschrift des »Diskos von Phaistos« auf Kreta aus der Bronzezeit. »Das hat mir damals Kritik eingebracht«, sagt Hummel, weil die Texte keinen christlichen Bezug hatten.

Zu seiner Lebensaufgabe wird der Aufbau der Reutlinger Musikschule. Deren Vorgänger hat sein Vater Karl Hummel 1957 unterstützt vom damaligen OB Oskar Kalbfell gegründet. »Aufbauwerk für Schul-, Jugend- und Volksmusik« hieß diese private Institution mit rund 400 Schülern, die sogar Aufführungen in der Listhalle bestritt. 1970 wurde sie unter dem Dach der VHS als Musikschule Reutlingen neu gegründet - mit Hansjörg Hummel als Leiter. In wenigen Jahren vervielfachten sich die Schülerzahlen. Und Hummel komponierte rastlos Kantaten und Klangspektakel, die er mit seinen Musikschulensembles aufführte.

Maschinenlieder und Umweltschutzkantate

1971 brachte er eine »Straßenverkehrskantate« heraus, 1973 »Maschinenlieder«, bei deren Aufführung Dias aus der alten Wagner-Maschinenfabrik in die Listhalle projiziert wurden. 1974 folgte eine »Umweltschutzkantate«, Jahre vor Gründung der Grünen. Den Text dazu lieferte Herbert Winkler alias Kolumnist Dr. Frosch. Hummel hatte ihn zufällig in der Stadt getroffen und war mit ihm über die Vermüllung der Fußgängerzone ins Debattieren gekommen.

Später folgten Raumklang-Aufführungen wie die »Klangspektakel I und II«, die »Treppenmusik« oder die »Rotationen«. Dazu bezog Hummel die Aufführungsorte im Foyer des Ratsgebäudes (»Treppenmusik«) oder im neuen Haus der VHS (»Klangspektakel«, »Rotationen«) ein. Für die »Rotationen« entwickelte er eigens neue Instrumente in Gestalt großer, mit Saiten bespannter Klangräder. Gefertigt wurden sie vom Hausmeister-Team, dessen Engagement Hummel ausdrücklich lobt: »Die waren wirklich toll!«

Turbulente Raumklangspektakel

Bei diesen Raumklang-Events der 1980er und 1990er schickte Hummel seine Musiker auf die Galerie und die Treppe, ließ die Klänge selbst treppauf-, treppabwandeln oder aufeinanderprallen. Er habe Klänge zu eigenen Akteuren gemacht, beschreibt es Hummel, das habe es so noch nicht gegeben. Seine Spieler nahm er dabei mit hinein in ein vor Rhythmen sprühendes, fröhlich-turbulentes Treiben, fast immer war viel Schlagwerk dabei. Den Mitwirkenden die Begeisterung an der Musik einzupflanzen, war ihm dabei so wichtig wie die Musik selbst. Sein pädagogischer Elan hat sich in manchen Schulwerken niedergeschlagen. Etwa in einem Klavierheft, um den Schülern die Angst vor den weißen und schwarzen Tasten zu nehmen.

Als er 2002 in der Ruhestand ging, übergab er seiner Nachfolgerin Karin Hurle ein quicklebendiges Haus mit über 2000 Schülern. Seinen Schwerpunkt hat er seither mehr auf die Kunst und das Dichten verlagert. Auch wenn er noch weitere Uraufführungen feierte - etwa 2019 mit einem von Eugen Wendler angeregten »Epitaph für Friedrich List«. Seine Fund-Kunstobjekte beschäftigen ihn weiter. Auch die Grafik: Zeichnungen, Papierschnitte, Collagen oder die von ihm selbst entwickelte »Filografie«, bei der er mit Fäden gelegte Linien durchs Papier durchreibt. Langweilig wird's ihm auch mit 85 nicht. (GEA)