ROTTENBURG. Eine Fliegermütze, eine Brille und einen Regenmantel gegen den Staub trug der Fabrikant G., wenn er auf dem Marktplatz aus seinem Wagen stieg. Er war Rottenburgs erster Autofahrer kurz nach der Jahrhundertwende, wie Josef Eberle in seinen Kindheitserinnerungen »Aller Tage Morgen« beschreibt. Autofahren war damals noch etwas Körperliches, wie Janne Wagler darstellt, indem sie kurbelt und über Pflastersteine holpert. Die Lausbuben hätten sich stets an den parkenden Wagen geschlichen, um heimlich die Hupe zu drücken, erinnert sich Josef Eberle (1901-1986), der heute vor allem unter dem Pseudonym Sebastian Blau als schwäbischer Mundartdichter bekannt ist. Für Rottenburg ist Eberle das, was Friedrich List für Reutlingen darstellt, eben der berühmteste Sohn der Stadt.
Die Schauspielerin Janne Wagler erweckt im Zeitreise-Stück »An diesem Tag wollte ich Flieger werden«, aufgefürt in der Rottenburger Zehntscheuer, das Rottenburg der Kindheit Eberles zum Leben - jene glückliche Zeit, die durch den Ersten Weltkrieg jäh beendet wurde. Sie experimentiert mit einer Mischung aus Lesung, Schauspiel und Objekttheater. Wagler verwendet für einige Szenen ein Kamishibai - ein japanisches Bildertheater, mit dem Straßenkünstler in der Zeit vor Kino und Fernsehen Geschichten erzählten. Immer wieder spielt Wagler swingende Musik ein.
Ohne Sentimentalität
Wagler macht ihre Szenen an Gegenständen und Handwerkstätigkeiten fest. Da sind etwa der Kupferdraht, mit dem der Elektriker die kaputten Lampen repariert, und die altertümliche Milchkanne, die für einen heimlichen Kuss, eine erste Liebe beim Milchholen steht, bei dem der Inhalt der Blechkanne verschüttet wird. »Es ist ein liebevoller Blick zurück, ohne Sentimentalität«, so Wagler zu ihrem Stück.
Ausstellung
Die Ausstellung »Als Eberle noch Josef war. Das Rottenburg seiner Kindheit« ist bis zum 27. April in den drei Rottenburger Museen (Sülchgau-Museum, Sumelocenna-Museum und Museum im Amannhof) zu sehen. Nähere Informationen auf www.rottenburg.de. (GEA)
Immer wieder charakterisiert Eberle in seinen Erinnerungen die Stadthonoratioren, wie sie nach dem Frühschoppen vor der Wirtschaft zum Bären auf der Freitreppe stehen - auch in seinen Mundartgedichten tauchen sie immer wieder auf. Eberles Mutter, eine Witwe, weiß sich gegen jene wichtigtuerischen Männer zu behaupten - ihren Platz in der ersten Reihe einer Schulaufführung räumt sie nicht. Doch die nostalgische Romantik endet mit dem frühen Tod der Mutter. Ihre letzten Worte sind die Aufforderung an die große Schwester, sich um den kleinen Josef zu kümmern. Waglers Stück endet mit der Abreise Eberles nach Berlin.
Nächste Aufführung: Am 4. April um 19 Uhr im Sülchgaumuseum in der Zehntscheuer in Rottenburg. (GEA)