Logo
Aktuell Uraufführung

Das Vaterunserin Tönen

REUTLINGEN. Zu Bachs Zeiten war es selbstverständlich, dass die Hörer frisch Komponiertes auf die Ohren bekamen. Diese Praxis will Christian Bonath, der Leiter des Reutlinger Knabenchors Capella vocalis, neu beleben. Mit Stücken, die nicht so abgefahren sein brauchen wie bei den Musiktagen in Donaueschingen (»Es muss jetzt kein Konzert für Triangel und fünf Toilettenspülungen sein.«), aber doch solchen, die Gegenwartsmusik sind.

Dazu hat er die Reihe »Music of our time« gegründet, und die geht am 24. September um 19 Uhr in der Christuskirche in ihre dritte Runde. Diesmal hat Bonath das zentrale Werk selber komponiert. Sein Vorteil: Er kennt den Klangkörper am besten. Thema ist das Vaterunser. Unter dem Titel »our_vater_noster« verarbeitet er Texte von Luther und Rilke, und zwar auf Deutsch, Englisch und Latein.

Eine gute halbe Stunde sollen die 18 fließend ineinander übergehenden Sätze dauern, inklusive eines Prologs, eines Epilogs sowie zwei Instrumentalzwischenspielen. Außer drei Sprachen setzt Bonath auch drei Klangschichten ein. Erstens die vokale Schicht mit der Capella und Solisten aus dem Chor (Till Krupop, Jan Jerlitschka). Zweitens die Schicht der Tasteninstrumente: die große Orgel auf der Empore, gespielt vom Offenbacher Olaf Joksch, sowie unten eine Truhenorgel und ein Klavier, die Bonath selbst bedient, bei Bedarf gleichzeitig (»Man muss die Instrumente nur richtig zueinander stellen.«). Drittens gibt es die Schicht der Schlaginstrumente: Tambourin, Glockenspiel und Schellenkranz, alle von Chorleuten gespielt. Dieser mehrfachen Dreischichtung wegen spricht Bonath von einem »Triptychon«.

Die Vaterunser-Thematik hat Bonath gewählt, weil sie »ein allgemeines Kulturgut« sei, »ob man nun Christ ist oder nicht«. Außerdem gebe es gar nicht so viele Vertonungen, wie man meinen sollte.

Luthers eigener Vaterunser-Choral, spielt in Bonaths Zyklus eine wichtige Rolle. Bonath hat ihn in Einzelzeilen aufgespalten und diese als »Brücken« zwischen die einzelnen Sätze geschoben. Allerdings nicht in der Urversion, sondern in modernen Umspielungen, etwa als sich auffächernde Cluster oder als Glockenspiel-Cantus-Firmus über einem absichtlich engen und reibigen Kanon.

Pfefferminz-Akkorde

Von Prolog und Epilog abgesehen ist es auch ein Choral, der den ganzen Zyklus einrahmt, nun aber von Bonath komponiert. Dazwischen wechseln Duette, kleine Arien und Chorstücke, durch die erwähnten Zitat-Brücken verbunden.

Bonaths Tonsprache hält durchaus »Pfefferminz-Akkorde« bereit, setzt aber insgesamt auf eine »Konsensharmonik«. Die Musik soll modern wirken, die Hörer aber nicht zur Kirchentür hinaustreiben und »singbar« sein. »Ich habe ja auch einen pädagogischen Auftrag.« Als Bezugspunkte nennt er Knut Nystedt und Fredrik Sixten sowie Arvo Pärt, über den er seine Diplomarbeit geschrieben hat. Akkordschichtungen ohne Grundton im Bass sollen für ein schwebendes Klangbild sorgen; Dur- und Mollterz im selben Takt signalisieren die Ambivalenz von göttlicher und irdischer Sphäre.

Im Konzert stellt Bonath dieser gemäßigten Moderne geistliche Musik des späten Mendelssohn gegenüber. So erklingt dessen Orgelsonate über das Vaterunser sowie die Motette »Jauchzt dem Herrn alle Welt« und drei geistliche Gesänge für Orgel, Chor und Altsolo mit Jan Jerlitschka als Solist. (akr)

»our_vater_noster«: 24. September, 19 Uhr, Christuskirche Reutlingen