REUTLINGEN. D ie Musica Nova ist wieder da, kurz vorm Ende der Saison, nach langer Corona-Zwangspause ist sie zurück. Am Rande der Ausstellung »Vom Verrinnen« in den Reutlinger Wandel-Hallen trat das Trio Toninton, schöner Name, dort in klassischer Klaviertrio-Besetzung vor gut belegten Reihen auf.
Neu ist sie natürlich nicht, diese Musik von Dmitrij Schostakowitsch, aber auf erstaunliche Art jung, zeitlos jung geblieben. Nicht nur dieses Jugendwerk mit seinem absteigenden Klagemotiv aus der kargen Hungerzeit nach der Oktoberrevolution als Stummfilmpianist im St. Petersburger Kino, das erst 1983 ausgegraben und veröffentlicht wurde: das Trio Nr. 1 in c-Moll, erweitert tonal noch, aber schon ganz Schostakowitsch in der Motorik, den Repetitionen und den jähen Wechseln in eine weiche Melodik, kontrastiert oder auch mal eingesponnen in scharfe Dissonanzen .
Nicht nur dieses Stück spielte das vor 15 Jahren von den Geschwistern Vilja Godiva (Violine) und Ukko Speidel (Violoncello) gegründete und inzwischen (mit Helge Aurich am Flügel) führende Avantgarde-Trio hoch expressiv, mit konventionellem Vibrato übrigens. Das titelgebende Werk »Hauptweg und Nebenwege« hat der Siebenbürger Berliner Gabriel Iranyi 2007 geschrieben, in fünf traditionellen Tempobezeichnungen über den Sätzen und der Maßgabe, nur Zustände, Wahrnehmung und Emotion in Töne zu fassen, aber keinerlei Erzählung oder gar Illustration über Paul Klees im Kölner Museum sichtbares Werk aus dem Jahr 1929.
Tänzelnder Beginn
Echte Programmmusik wollte der in Reutlingen wohlbekannte Fazil Say über seine Empfindungen schaffen, die er beim Rekord-Stratosphärensprung des Österreichers Felix Baumgartner im Oktober 2012 – aus mehr als 38 Kilometern Höhe, 1 357 Stundenkilometer Fallgeschwindigkeit – verspürte. Vieles in diesem sehr plastischen Klangstück erinnerte, nach tänzelndem Beginn, auch an Schostakowitsch: das Motorische, die Melodik, auch das hinreißend virtuose Unisono der Coda dieses »Space Jump«, Opus 46.
Als Gewinnerin des Goldenen Löwen der Musikbiennale von Venedig zählt die 1952 geborene Finnin Kaija Saariaho zur ersten Garde der Avantgarde-Komponistinnen. Ihr »Light and Matter« von 2014 fasst eine Naturszene aus New York mit drei Abschnitten in Töne: Mit Echos und Glissandi, Griffen in die Klaviersaiten und Doppelgriffen, Wischen und Zupfen, Obertönen und Viertelstönen erreicht sie eine fein geschliffene, durchsichtige Klangfülle, in der Helge Aurich wie zuvor schon durch seinen stellenweise kristallin harten Anschlag Eindruck machte. Mit einer Miniature unter dem Titel »Gespräch« von einem Chidimo bedankte sich das Trio für den langen Beifall. (GEA)