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Das Theater Die Tonne arbeitet seit 20 Jahren inklusiv und ist für andere Vorbild

Die in 20 Jahren hartnäckig erworbene Expertise des Theaters Die Tonne im Bereich Inklusion ist gefragt. Auch das Staatstheater Stuttgart will von den Reutlingern lernen.

»Tanzt!« mit Profitänzern und Bürgern im Reutlinger Theater Die Tonne.
»Tanzt!« mit Profitänzern und Bürgern im Reutlinger Theater Die Tonne. Foto: Beate Armbruster
»Tanzt!« mit Profitänzern und Bürgern im Reutlinger Theater Die Tonne.
Foto: Beate Armbruster

REUTLINGEN. Das Theater Die Tonne betrachtet mit Sorge, dass derzeit - beispielsweise in Tübingen oder Berlin - Theater einem harten Sparkurs unterworfen sind und mit einer öffentlichen Kulturförderung, die als Freiwilligkeitsleistung gilt, vieles zur Disposition steht. Nicht zuletzt von seinem Publikum sieht sich das seit 1958 bestehende Reutlinger Theater aber, wie es andererseits berichtet, sehr wertgeschätzt. Vielleicht mehr denn je - was sich auch an den Auslastungszahlen des Hauses ablesen lässt. So spielte die Tonne zuletzt ihre Produktionen »Tanzt!« und »Der Tatortreiniger« vor komplett vollem Haus. Beim »Internationalen Tanztheater« im Februar lag die Auslastung bei 99 Prozent, bei der »Reutlinger Melange« bei 100 Prozent, wie Tonne-Verwaltungsleiter Matthias Schmied sagt. Während »Die Blechtrommel«, was den Besuch angeht, etwas hinter den Erwartungen zurückblieb, waren bei den 18 Aufführungen von »The Black Rider« 80 Prozent, bei 16 Mal »Pu der Bär« 77 Prozent der Plätze belegt. Auch »Thuns komische Werke«, bei denen Helge Thun nicht selbst auf der Bühne steht, sondern Regie geführt hat, laufen überdurchschnittlich gut.

Intendant Enrico Urbanek, der den Kulturauftrag, dem das Theater nachkommt, betont, freut besonders, wenn Theaterabende wie das Bürgerprojekt »Tanzt!«, mit dem die Tonne laut Dramaturg Michel op den Platz ein Wagnis eingegangen ist, gut funktionieren. Wenn »die ganze Vielfalt, die die Reutlinger Stadtgesellschaft zu bieten hat, zusammenkommt, fast ein halbes Jahr an einem Projekt arbeitet und allabendlich vor ausverkauftem Haus steht«. Dieses aus Projektmitteln des Landes Baden-Württemberg geförderte »kleine Wunder«, wie der GEA-Kritiker schrieb, von Tanzspezialist James Sutherland choreografiert und mit 40 Laien und vier Profis besetzt, sandte in einer Welt, in der politisch und gesellschaftlich der Ton rauer wird, »Signale der Solidarität« aus (so die Überschrift der Rezension im GEA).

Erwartungen ans Theater

Bei den Beteiligten und beim Publikum entstand dabei auch eine Erwartungshaltung. »Wie geht es weiter? Was macht ihr als Nächstes? Wann kann man mitmachen?«, wurde Urbanek zum Ende des Projekts hin häufig gefragt. Der Intendant ist überzeugt: »Solche Modelle, bei denen Menschen zusammenrücken und gemeinsam etwas auf die Beine stellen, haben Zukunft.« Weshalb es auch künftig etwas Vergleichbares geben soll.

Die Tonne erfährt auch aus anderen Kreisen viel Anerkennung. Choreografen, die anlässlich von »Tanzt!« das Theater besuchten, zeigten sich begeistert von den Möglichkeiten, die der 2018 in Betrieb genommene Neubau auf dem Gelände der ehemaligen Listhalle bietet. Burkhard C. Kosminski, Schauspielchef des Staatstheaters Stuttgart, informiert sich am Haus über die inklusive Arbeit, will von der Tonne, die seit 20 Jahren Erfahrungen in diesem Bereich sammelt und ein inklusives Ensemble hat, lernen. Das gilt auch für die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart, die mit dem Reutlinger Theater als Vorreiter in diesen Belangen kooperiert. Außerdem unterstützen Schauspielerinnen und Schauspieler des inklusiven Ensembles Tübinger Studentinnen und Studenten beim Lernen, wie sie Patienten mit körperlicher Beeinträchtigung untersuchen, und helfen so, die inklusive Medizin voranzubringen.

Kino-Premiere in Estland

Der Film »Spuren nach Grafeneck«, den Yvonne Lachmann und Nora Mazurek an der Kunsthochschule für Medien Köln realisiert haben, hatte im Oktober 2024 in Estland beim Internationalen Dokumentarfilmfestival in Pärnu Kino-Premiere. Jetzt planen Lachmann und Mazurek Vorführungen in Grafeneck und weiteren Gedenkstätten, im Rahmen der bundesweiten Dokumentarfilmtage »Let'sDOK« (im September/Oktober 2025). Der Dokumentarfilm begleitet die Protagonistinnen und Protagonisten bei der Entstehung und Aufführung des Straßentheaterstücks »Hierbleiben … Spuren nach Grafeneck«, das der Tonne-Theaterverein produzierte und das von Landkreis, Bund und EU gefördert wurde. Das Theaterstück wurde 2023 bei dem bundesweiten Theaterwettbewerb »andersartig gedenken on stage« in Berlin mit einem ersten Preis ausgezeichnet.

»Wir versuchen, gutes Theater zu machen. Da gehört der inklusive Bereich dazu«, sagt Urbanek, der seit 2001 Tonne-Intendant ist. Das wird sich auch in den noch anstehenden Premieren dieser Spielzeit, »Wolf« und »Der Name der Rose«, wieder zeigen. »Wolf« (ab 3. Mai) bringt die Tonne in einer Fassung von Alice Feucht auf die Bühne. Der zugrundeliegende Roman von Saša Stanišic, der Ausgrenzungsmechanismen und die aufkommende Wut dagegen thematisiert, brachte dem Autor 2024 den Deutschen Jugendliteraturpreis ein. »Der Name der Rose« nach dem Roman von Umberto Eco ist in diesem Jahr das Reutlinger Sommertheaterstück. Die Tonne spielt den Klosterkrimi ab 10. Juli im passenden mittelalterlichen Ambiente des Spitalhofs. (GEA)