REUTLINGEN. Sie kommen mit kleinen Köfferchen hereingelaufen wie Handelsvertreter: die vier Musiker des finnischen Quartetts Sväng. In den Köfferchen verbergen sich jedoch keine Musterproben, sondern - Mundharmonikas. Eero Grundström, Eero Turkka, Jouko Kyhälä und Pasi Leino sind womöglich die einzigen Menschen auf dem Globus, die auf solchen Instrumenten im Quartett sinfonische Musik machen. Am Donnerstagabend waren sie zu Gast in der Kaleidoskopreihe der Württembergischen Philharmonie in der Stadthalle Reutlingen.
Bei Eero Grundström und Eero Turkka sind die Instrumente so klein, dass sie beim Spielen in den Händen verschwinden. Die Bassmundharmonika von Pasi Leino sieht wiederum aus, als würde er Omas Schmuckschatulle am Mund entlangführen. Während die »Harmonetta« von Jouko Kyhälä eine Art Schreibmaschinentastatur angeschraubt hat, die ihm ermöglicht, auch komplexe Akkorde zu spielen. Hohner hat das Instrument in den 1950ern entwickelt; es hat sich nicht durchgesetzt, weil man die Tasten blind greifen muss. Kyhälä ist womöglich der einzige, der es noch bedienen kann.
Tango als Grundton
Der Klang des Ensembles ist hell, scharf und rau, dann wieder erstaunlich zart und anschmiegsam. Fein wandert der Fokus hin und her zwischen dem Quartett und dem verkleinerten Orchester mit Streichern, zwei Hörnern, Flöte und Oboe. Und Achim Nörz als alleinigem Schlagwerker, der pfeilschnell zwischen Drumset, Vibrafon, Xylofon und Pauken hin- und herwitscht. Am Pult hält das Janne Nisonen mit bloßen Händen so elegant zusammen, als sei der Tango integraler Bestandteil seiner DNA.
Denn Tango liefert den Grundton des Abends, von den Argentiniern erfunden, von den Finnen adoptiert. Scharf attackierend im »Eksyneen Tango« von Eero Turkka, sehnsuchtsvoll klagend im »Sateen Tango« von Unto Mononen, andachtsvoll in »Muista minua« von Pedro de Punta.
Dazwischen Stücke wie Filmmusik, oft von Natureindrücken inspiriert. Jouko Kyhälä hat beim Rudern einen Schwarm Fische bei der Paarung beobachtet, daraus wird die sprudelnde Fischsex-Hymne »Kiiskellä kisaa«. Impressionen bei einer Tour auf einem verschneiten See packt er in ein Stück, das wie eine Schlittenfahrt vorantänzelt. Und »Kuakua kome kiki?« entrollt stilecht eine Westernkulisse, in die vier Mundharmonikas so perfekt passen wie vier Fäuste auf ein Halleluja. Die Dalton-Brüder aus den Lucky-Luke-Comics hätten ihn angeregt, erzählt Kyhälä.
Drama um Großvater
Am ergreifendsten ist die Geschichte um seinen Großvater, der im Bürgerkrieg nach der Loslösung von Russland von einem Nachbarn wegen seiner kommunistischen Gesinnung nach Russland verschleppt wurde, wo er als Spion in einem Lager umkam. Die Kinder der beiden verfeindeten Familien verliebten sich dennoch - Kyhäläs Eltern. Denen er das Stück »Impivaara« widmet, dramatisch, aufgewühlt, voller Pathos.
Dann geht's in Balkan-Gefilde mit einem Tanz von Eero Turkka, der lange in Bulgarien gelebt hat. Und zu Chopin und Sibelius, mit zauberhaften Bearbeitungen. Wobei das mit dem Nocturne Nr. 20 verwobene Prélude Nr. 4 von Chopin bald in einen Tango kippt. Ein toller Abend mit vier Finnen, die mit skurrilem Humor begeistern - und einer überaus berührenden Musik. (GEA)