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Das Leben ist kein Taylor-Swift-Album: »Solo mit Goldfisch« im Tübinger Zimmertheater

Was tun, wenn keiner außer dem Haustier zuhört? »Solo mit Goldfisch« am Tübinger Zimmertheater ist eine Studie der Einsamkeit und ein großer Auftritt für Cyril Hilfiker.

Der Goldfisch hört zu: Cyril Hilfiker in Fabian Hartjes Monodrama.
Der Goldfisch hört zu: Cyril Hilfiker in Fabian Hartjes Monodrama. Foto: Alexander Gonschior
Der Goldfisch hört zu: Cyril Hilfiker in Fabian Hartjes Monodrama.
Foto: Alexander Gonschior

TÜBINGEN. Einmal also gehört die Bühne ihm. Er hat sie nicht ohne Weiteres bekommen. »Was haben Sie vor? Versuchen Sie, es zu beschreiben. Wie sieht Ihr Projekt aus?«, fragt eine skeptische Stimme. Kein Projekt hat er. Er will etwas sagen, sagt er, er muss etwas loswerden, und alle geht es an. »Warum sollte man Ihnen zuhören?«, fragt die Stimme nun mit leisem Spott. Und: »Na gut. Sie bekommen unsere Bühne für einen Abend.«

Ob diese Vorstellung sich nur in der Vorstellung des Protagonisten zuträgt, bleibt offen. Felix, so heißt er, ist an diesem Abend im Tübinger Zimmertheater Gefangener eines Zimmers, das sein Leben ist, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint. »Solo mit Goldfisch«, die Uraufführung eines Stückes für einen Spieler von Fabian Hartje, ist eine Studie der Isolation, das Porträt eines Menschen, dem es nicht möglich ist, auf eine authentische Weise mit seiner Umgebung in Kontakt zu treten, der eine tiefe Unzugehörigkeit empfindet, sich also vor allem nach Zugehörigkeit sehnt. Das Stück erzählt von einem Entwurzelten, vom Alleinsein, von der Einsamkeit.

Tabu Einsamkeit

Die ist vielleicht weniger selten, als man denkt, nur: Das Sprechen über sie wird als Tabubruch empfunden. Auszüge aus Interviews, einer Umfrage zum Thema werden am Ende des Abends zugespielt, und es wird deutlich: Alleine fühlt sich fast jeder irgendwie, irgendwann. Das geht vorbei. Bei Felix aber nicht. Und dies ganz ohne Grund, ist er doch der Mann der »goldenen Mitte«, einer, der nicht zum Extrem neigt, einer, der mit allen klarkommen sollte, der kein Streber und kein Streithahn ist. Einer, der keinen herausfordert. Ein Angepasster. Und dennoch passt er nirgendwo hinein, dennoch bleibt er allein. Weshalb nur? Da steht er, dessen Name auf Deutsch »der Glückliche« bedeutet, und sagt, klar und deutlich: »Ich bin unglücklich.«

»Solo mit Goldfisch« könnte also das Porträt eines durchschnittlichen Zeitgenossen sein oder die Kritik an einer Gesellschaft, die nicht mehr in der Lage ist, die einfachsten Bedürfnisse zu befriedigen. Vor allem ist das Stück am Zimmertheater eine große Leistung von Cyril Hilfiker, der hier in rund 100 Minuten eine Persönlichkeit in all ihren Facetten erschafft, mit erstaunlichster Ausdruckskraft, emotional, körperlich um die Frage kreist, die ihn quält, ohne eine Antwort zu finden. Unter der Regie von Magdalena Schönfeld liefert er das intensive, laute, bohrende Psychogramm eines Menschen, der sein Leben lang neben sich steht und nicht weiß, warum.

Ein Boxsack im Käfig

Die Bühne (Martin Kukulies) ist vor allem Zimmer, Wände schwarz gestrichen, mehrere Fenster. Es gibt das leuchtende Fach einer Kühltruhe in der Wand und Eis, das auf dem Boden liegt, es gibt einen Spiegel an der Wand, es gibt einen Boxsack, der von der Decke hängt, es gibt ein Tablett voller Teelichter, es gibt einen Mikroständer und es gibt Niklas, den Goldfisch, der in einem Aquarium mit Discokugel schwimmt, allein wie sein Besitzer. Felix erwarb ihn in einer Zoohandlung, Felix leidet unter einer Tierhaarallergie. Er spricht mit ihm, er nimmt den Fisch aus dem Wasser, lässt ihn eine Runde schwimmen über dem Aquarium, er küsst ihn.

Und Felix erzählt. Sein Leben. In seiner eigenen Version, ein bisschen so, wie Taylor Swift, die sich die Rechte für ihre Songs zurückkaufte und neu veröffentlichte als »Taylor’s Version«. Er gibt seinen Steckbrief, er spricht von seinen Eltern. Er war ein Einzelkind, er war immer von Menschen umgeben. Seine Kindheit war glücklich, seine Jugend zumindest nicht ungewöhnlich. Er erzählt von Freundschaften, die nicht blieben. »Ich schaue von außen zu, wie die anderen so leben«, sagt er. Er gehört nicht dazu. Der Umzug in eine fremde Stadt, das Studium, die WG – all das wird nichts daran ändern.

Das Unglück darf sein

Es wäre einfach, diese Figur bloßzustellen, ihre Egozentrik, ihr Selbstmitleid. Fabian Hartjes Text und Cyril Hilfikers Spiel sind daran nicht interessiert. Hilfiker gräbt sich regelrecht hinein in Felix, lässt ihn leiden, kreisen, aufbegehren und verzweifeln. Der Raum, den er für sich fordert, ist eben ein Raum, in dem sein Unglück nicht infrage gestellt wird, in dem es ihm erlaubt ist, unglücklich zu sein. Und Cyril Hilfiker stößt mit dem Kopf gegen die Wand, schlägt den Boxsack, robbt bäuchlings auf das Licht des Kühlschranks zu, kriecht in diese Vitrine hinein, steigt aus dem Fenster, um zu rauchen, blickt in den Spiegel. Er lehnt an der Wand, er schwitzt, er wirkt geschunden. Er begegnet einer säuselnden Therapeutin. Er singt von seiner Einsamkeit und lässt seine Worte von einer Loop-Station wiederholen. Er lässt Sand über seinen Kopf laufen, reißt ein anderes Fenster auf, holt sich dort eine goldene Folie, unter der er sich dann versteckt. Ein sehr dunkles Ende deutet sich an, wird aber nicht erzählt. Stattdessen spielt das Stück den Ball dem Publikum zu: »Meine Einsamkeit«, sagt Felix, »geht euch etwas an.« (GEA)