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Crashkurs in Punkrockgeschichte: TV Smith im Reutlinger franz.K

Der Brite TV Smith hat mit The Adverts den Punkrock in den 1970ern miterfunden. Jetzt machte er im franz.K Station. Und ließ sein Publikum keinen Moment Luft holen.

Auch mit 69 ein nimmermüdes Energiebündel: TV Smith beim Auftritt im franz.K.
Auch mit 69 ein nimmermüdes Energiebündel: TV Smith beim Auftritt im franz.K. Foto: Armin Knauer
Auch mit 69 ein nimmermüdes Energiebündel: TV Smith beim Auftritt im franz.K.
Foto: Armin Knauer

REUTLINGEN. Wie Sieger gehen sie am Ende von der Bühne und klatschen die Fans ab: der britische Punkrock-Veteran TV Smith und seine drei Mitmusiker von der Band The Bored Teenagers. Fast so, als hätten sie gerade den FC Liverpool vom Platz gefegt. Und es war ja auch Großes geschehen im Mini-Saal des franz.K-Foyers am Donnerstagabend. 49 Jahre Punkrockgeschichte waren durch den Raum gefegt wie ein Orkan. Ohne Punkt und Komma hatten Smith und seine Combo Song an Song gehängt. Hatten gepowert, ohne eine Sekunde nachzulassen. Und die Menge vor der Bühne hatte getobt, sich in immer wildere Pogo-Tänze geworfen. Sodass am Ende der Held und seine Crew sogar nach dem Zugabenblock noch einmal für ein Lied zurückkehren. »Das machen wir normal nie!«

Mit TV Smith hat man ein Stück Punkrock-Geschichte so dicht und nah vor sich, dass sein Schweiß die ersten Reihen duscht. 1976 ist er mit The Adverts durchgestartet, hat in London das Punkrock-Genre quasi miterfunden und mit einigen Songs sogar die Charts gerockt. Als sich die Adverts 1979 auflösten und sich in den 1980ern in Großbritannien keiner mehr für ihn interessiert, holen die Toten Hosen ihr großes Idol für eine Albumproduktion. Deutschland ist ein gutes Pflaster für ihn geblieben, sogar die Sprache hat er gelernt. Dem Publikum stellt er sich als »TV Schmidt« vor.

Rasende Klangcollage

Das bleibt der einzige Wortbeitrag, abgesehen vom »Danke, ihr wart super!« am Schluss. Das dazwischen ist eine rasende Klangcollage aus miteinander verwobenen Songs, die das Publikum von etwas über hundert Leuten mit knatternder Wucht am Hüpfen hält. Die Reutlinger/Stuttgarter/Nürtinger Lokalmatadoren von The Snacks zeigen als Vorgruppe, wie viel sie von Smith gelernt haben. Das Atemlose, das wütende Stakkato, mit dem das Quartett gegen Alltagsfrust und bürgerliche Enge anrennt, findet sich genauso bei Smith und Band.

Sängerin Slämmy von The Snacks gibt das Bühnenteufelchen. Links Gitarrist Hannes Baral.
Sängerin Slämmy von The Snacks gibt das Bühnenteufelchen. Links Gitarrist Hannes Baral. Foto: Armin Knauer
Sängerin Slämmy von The Snacks gibt das Bühnenteufelchen. Links Gitarrist Hannes Baral.
Foto: Armin Knauer

Nur spielt bei den Snacks noch ein grimmig-skurriler Humor mit. Sängerin Slämmy fletscht die Zähne, rollt die Augen, ballt die Fäuste, gibt ironisch-verspielt den dämonischen Bühnenteufel. In harten Salven kommt ihr Sprechgesang gegen die Bürgermoral, nur ganz selten wird es mal melodisch. Die Stücke brettern hart und kompakt, sind immer auch ein Stück Rollenspiel.

Er hüpft, zappelt, rudert

Die wütenden Sprechgesang-Salven sind auch bei TV Smith der Kern. Er zappelt, er hüpft, er rudert mit den Armen, verteilt Lufttritte. Unfassbar, dass man mit Ende 60 einen solchen Veitstanz hinlegen kann, 70 Minuten ohne Unterbrechung, dann nochmal in den Zugaben. Aber verglichen mit den Snacks ist in den dauerpowernden Vocals von Smith mehr Melodie zu hören, mehr Hymnisches, mehr Pathos. Immer wieder hebt der Sänger die Hände beschwörend zum Bühnenhimmel, ehe er sich in den nächsten gliederwerfenden Tanz wirft. Tatsächlich mündet der drei Songs starke Zugabenblock in das Stück »Lord's Prayer«. Wo der Snacks-Auftritt Rollenspiel war, ist jener von TV Smith Anrufung.

Punkrock-Veteran TV Smith lässt bis Konzertende nicht locker.
Punkrock-Veteran TV Smith lässt bis Konzertende nicht locker. Foto: Armin Knauer
Punkrock-Veteran TV Smith lässt bis Konzertende nicht locker.
Foto: Armin Knauer

Begonnen hat alles mit »Only One Flavour«; sein großer Hit aus Adverts-Zeiten, »Gary Gilmore's Eyes« kommt kurz vor Ende des regulären Teils. Der Parforceritt durch die Punkrockgeschichte macht deutlich, dass Smith vielfältige Einflüsse aufgesogen hat. Auch wenn das wütend attackierende Brettern dominiert: Hier und da biegt Gitarrist Mark Carrey in ein Solo ein, das spürbar vom klassischen 70er-Hardrock inspiriert ist. Kurzfristig zieht sich das Anrennen auch mal in ein subversives Brodeln zurück – einzige Gelegenheit für den Drummer, einen Schluck Bier nachzutanken. Und schon stürmt das Ganze wieder entfesselt los. Kurz vor Ende des regulären Teils greift dann verblüffenderweise so etwas wie eine Ballade raum. Siehe da: Smith kann auch gefühlvoll! Sehr berührend klingt seine Raspelstimme da.

Das Bleierne wird pulverisiert

Der Grundton aber ist Entfesselung, Ekstase. Die bleierne Realität, sie wird einfach pulverisiert. Und am Ende, in seinem ungeplanten Zusatz-Zugabenstück, hat TV Smith dann noch eine Extra-Aufmunterung für seine Fans parat: »Perhaps The Good Times Are Back« frohlockt er in dem Song. Zumindest für einen Abend waren die guten alten Punkrockzeiten aber sowas von zurück! (GEA)