REUTLINGEN. Das erste, was man sieht, sind fünf Rahmen, denen der Inhalt fehlt. Dafür klebt links, rechts oder oben eine Erweiterung an den Rahmen, mal seitenfüllend, mal nicht. Schon rattert es im Kopf: Da muss doch ein System dahinterstecken! Es ist fast wie Sudokuspielen. Nur ohne eindeutiges Resultat.
Christian Wulffen stellt in seiner Kunst nichts dar in seiner nun startenden Ausstellung im Kunstmuseum Reutlingen/konkret in den Wandel-Hallen. Stattdessen lädt er zu Gedankenspielen. Liefert Material, mit dem man im Kopf weiterbasteln kann. Kein Zufall, dass bei ihm alles rechteckig ist. So war das schon bei den Bauklötzen, mit denen wir früher im Kinderzimmer hantiert haben. Hier bekommen wir ein Arsenal von Kunst-Bausteinen und dürfen sofort kombinieren und tüfteln. Aber nur im Kopf – Anfassen verboten!
Für die Stiftung gesammelt
Manfred Wandel und seine Partnerin Gabriele Kübler, die Leiter der Stiftung für konkrete Kunst, haben sich früh in das Werk Wulffens verliebt. Und seine Arbeiten systematisch für ihre Stiftung gesammelt. Nachdem ihre Sammlung an die Stadt ging, besitzt das Kunstmuseum nun einen eindrucksvollen Korpus an Wulffen-Werken. Die Schau gibt einen Überblick.
Ausstellungsinfo
Die Ausstellung »Gegenstände zum gedanklichen Gebrauch« ist bis 3. August geöffnet, Dienstag bis Sonntag und Feiertag 11 bis 17 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr. Eröffnung ist an diesem Freitag, 11. April, um 19 Uhr. An diesem Samstag 12. April, ist um 11 Uhr ein Künstlergespräch in der Ausstellung mit Christian Wulffen und Beat Zoderer. (GEA)
www.kunstmuseum-reutlingen.de
Typisch für die Konkrete Kunst: Die Arbeiten wollen nichts anderes sein, als sie sind: eine Konstellation von Linien, Flächen, Formen. Sie verweisen auf keinen tieferen Sinn, nur darauf, dass die jeweilige Anordnung auch hätte anders sein können. Mit wenigen einfachen Elementen tut sich damit ein unendlicher Möglichkeitsraum auf. Wobei der Titel nicht mehr und nicht weniger aussagt, als das, wozu die Arbeiten gedacht sind: »Gegenstände zum gedanklichen Gebrauch«. Alsdann: frohes Mental-Basteln!
Reutlingen, Berlin, Cleveland
Mit diesem Ansatz hat Wulffen Kontinente überspannt. 1954 in Bochum geboren, hat er in den 1980ern in Stuttgart studiert. Von 1989 an lebt er zehn Jahre lang in Reutlingen, lehrt am Kunstseminar Metzingen. Es folgen Stationen in Berlin und Riederich, ehe er 2003 als Professor ans Cleveland Institute of Art in Ohio geht. Inzwischen emeritiert, lebt er in der US-Hauptstadt Washington D.C.
Die Schau schlägt einen Bogen von ganz frühen Arbeiten bis zu neueren Serien. Das früheste Objekt stammt von 1972, da war Wulffen gerade mal 17. Schon damals betrachtete er das Bild als Objekt. Als eines, das man durch Drehen von Lamellen ändern kann, Wulffen führt es beim Presserundgang vor.
Form und Variation
Im Laufe der 1980er hat er seinen Ansatz gefunden. Auf Serien von Einzelbildern variiert er Formen. Anfangs ist das Prinzip noch komplett auflösbar. Da bezeichnen Ziffern beispielsweise die Seitenlängen der Formen. Später gibt es keine eindeutige Auflösung mehr. Das ist der entscheidende Schritt: Es geht nicht mehr darum, zu enträtseln, was das jeweilige Konstruktionsprinzip war; sondern darum, im Kopf mit den jeweiligen Möglichkeiten zu spielen. Ein komplettes Verstehen gebe es ohnehin nicht, sagt Wulffen. Weil verstehen immer davon abhänge, wie viel man vom jeweiligen Kontext wisse. Und man wisse nie alles.
Das Prinzip lässt sich prima an einer Hunderter-Serie ablesen, von der sich knapp 50 Exemplare über vier Wände ziehen. Einzelbild für Einzelbild variiert Wulffen darauf mit schwarzen Klebestreifen ein Formenraster aus Quadraten, waagrechten und senkrechten Streifen. Die Bilder hat Kurator Holger Kube Ventura weit oben platziert. Darunter hat der Leiter des Bereichs für Konkrete Kunst am Kunstmuseum reichlich Platz gelassen. So, als solle der Besucher Raum bekommen, darauf seine eigenen Variationen von Wulffens Formenspiel zu projizieren.
Set aus Zaunelementen
Bei einem Set aus länglichen Holzobjekten hat Wulffen sogar die genaue Art, wie man sie anordnen soll, offen gelassen. Festgelegt ist nur, dass sowohl eine Wand wie der Boden mit einbezogen werden muss. Was die Überlegung herausfordert, wie man es noch hätte machen können. Das gilt erst recht für ein Set aus hölzernen Zaunelementen. Sie lehnen an der Wand, als würden gleich die Zimmerleute um die Ecke kommen, um irgendetwas damit zu bauen. Tatsächlich ist es der Besucher, der damit bauen soll. Auch da: nur in Gedanken. Wulffens Kunst – sie liefert Baumaterial für die Fantasie. (GEA)