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Charmebolzen vor dem Herrn

Jan Josef Liefers mit Radio Doria in der Stadthalle

Jan Josef Liefers bei seinem Auftritt in der Reutlinger Stadthalle.  FOTO: SPIESS
Jan Josef Liefers bei seinem Auftritt in der Reutlinger Stadthalle. Foto: Jürgen Spieß
Jan Josef Liefers bei seinem Auftritt in der Reutlinger Stadthalle.
Foto: Jürgen Spieß

REUTLINGEN. Soll noch einer behaupten, die Vereinigung sei in den Köpfen der Menschen nicht längst vollzogen. Oder die Mentalitäten seien grundverschieden. Der Gegenbeweis: Der in Dresden aufgewachsene Schauspieler Jan Josef Liefers präsentierte am Samstag mit seiner Band Radio Doria das mehrmals wegen Corona verschobene Konzert zu seiner »Nah«-Tour – und 650 Fans in der Reutlinger Stadthalle waren völlig begeistert von dem Schauspieler, Buchautor, Regisseur, Sänger und Charmebolzen.

Den meisten ist Jan Josef Liefers als schrulliger Gerichtsmediziner Karl-Friedrich Boerne aus dem Münsteraner »Tatort« bekannt. Vielleicht auch aus dem deutschen Kinoerfolg »Knockin’ on Heaven’s Door«, in dem er an der Seite von Til Schweiger den an Knochenkrebs erkrankten Rudi Wurlitzer spielte. Als Banjospieler und Rocksänger mit zerbrechlicher Stimme kennen ihn die wenigsten. Während der Konzerteinstieg im akustischen Gewand eher ruhig und liedermachermäßig ausfällt, heizen die vier Mitmusiker dem mitklatschenden Publikum ab dem zweiten Song mächtig ein. Dass der bisweilen zu großen Gefühlen neigende Liefers zum Großteil von seiner sprachlichen Begabung und Ausstrahlung lebt, ist kein Geheimnis. Aber die Präsenz dieses Mannes entfaltet sich nicht nur auf dem Bildschirm, sondern durchaus auch auf der Konzertbühne.

Hintergründiger Humor

Dazu muss er sich nicht einmal über die Maßen inszenieren: schwarzer Trilby-Hut, offenes Hemd, gewinnendes Lächeln – ein charismatischer Typ, der seine Arme mehr als einmal gen Himmel reckt, eine junge Besucherin zum Tanz auf die Bühne bittet und sein Publikum zum Mitsingen auffordert. Dazu kommt bei dem 57-Jährigen jene authentische und lässige Art, die ihn als Schauspieler bekannt gemacht hat und die ein wahres Bühnentier erst als solches auszeichnet. Obwohl der ehemalige Tischler und DDR-Oppositionelle stets im Mittelpunkt steht, lässt er seiner vierköpfigen Band viel Freiraum. Sie spielt präzise und auch mal gegen den Strich.

Dazu erzählt Liefers zwischen den Songs und mit hintergründigem Humor seine Geschichten: Von einem alten Mann aus Israel, von dem Gefühl, als Vater nicht zu genügen und von der Leichtigkeit des Kindseins, die man auch als Erwachsener beibehalten sollte. Authentisch und echt hört sich das an, wie er über seine Träume und Hoffnungen plaudert, wie er so ganz nebenbei so manche entlarvende Wahrheit offenbart. Dabei lässt das Multitalent immer den nötigen Abstand zwischen seinen durchaus universellen Gefühlen und dem Publikum.

Seine Biografie hat Ecken und Kanten und so kommen auch die Lieder über die Bühne, ob sie nun »Zweifel«, »Jeder meiner Fehler« oder »Verlorene Kinder« heißen. Ansonsten halten Liefers und seine Combo unbeirrt an dem fest, was in einem Rockkonzert letztlich zählt: das große Gefühl des gemeinsamen Erlebens. Zwei Zugaben folgen und am Ende verabschiedet sich Charmebolzen Jan Josef Liefers händeschüttelnd von den Besuchern. (GEA)