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Carpaccio & Co.: Staatsgalerie Stuttgart zeigt venezianische Frührenaissance

Um 1500 machte Giovanni Carpaccio dem großen Malerstar Bellini Konkurrenz. Heute kennen ihn eher Experten. Die Staatsgalerie Stuttgart bringt ihn nun wieder groß raus. Und zeigt: Der Maler hatte ein Faible für gebildete Frauen.

Der Heilige Georg als Drachentöter: Eines der bekanntesten Werke von Giovanni Carpaccio.
Der Heilige Georg als Drachentöter: Eines der bekanntesten Werke von Giovanni Carpaccio. Foto: Armin Knauer
Der Heilige Georg als Drachentöter: Eines der bekanntesten Werke von Giovanni Carpaccio.
Foto: Armin Knauer

STUTTGART. Es dauerte, bis König Wilhelm I. von Württemberg seine Landstände überzeugt hatte, Geld nicht nur für Spitäler freizugeben, sondern auch für die Kunst. Als das Parlament 1852 endlich zustimmte, war Wilhelms Wunschsammlung venezianischer Renaissancekunst weg. Was blieb, war die Sammlung Barbini-Breganze. Die glänzte weniger mit großen Namen wie Tizian, sondern mit etwas früheren Kollegen wie Giovanni Bellini und Giovanni Carpaccio.

Bilder, nicht Rindfleisch

Carpaccio? Da denkt man heute vor allem an das Gericht aus dünn filetiertem rohem Rindfleisch. Das seinen Namen in der Tat dem Renaissancemaler verdankt: Dessen Bilder hatten es 1950 Giuseppe Cipriani angetan, Inhaber von Harry's Bar in Venedig. Sodass er ein rotweißes Gericht, das er für eine Stammkundin kreierte, nach dem Maler der kostbaren Rot- und Weißtöne benannte.

Ausstellunginfo

Die Ausstellung »Carpaccio, Bellini und die Frührenaissance in Venedig« ist bis 2. März in der Staatsgalerie Stuttgart zu sehen. Geöffnet ist Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen. Zudem gibt es einen ausführlichen Ausstellungsführer zum Herunterladen aufs Smartphone. Der SWR hat zur Ausstellung eine CD mit Musik aus der Zeit von Carpaccio und Bellini aufgenommen, eingespielt mit dem Vokalensemble The Marian Consort, erhältlich im Museumsshop oder digital. Stücke daraus enthält auch der digitale Ausstellungsführer. (GEA)

Die Staatsgalerie holt nun diesen Maler und seine Zeitgenossen ans Licht. Die Schau »Carpaccio, Bellini und die Frührenaissance in Venedig« führt, kuratiert von Annette Hojer und Christine Follmann, zurück in die Lagunenstadt um 1500. Mit Bildern voll intensiver Farben und erzählerischer Detailfreude.

»Das Martyrium des heiligen Stefanus« in der Ausstellung »Carpaccio, Bellini und die Frührenaissance in Venedig« in der Staatsga
»Das Martyrium des heiligen Stefanus« in der Ausstellung »Carpaccio, Bellini und die Frührenaissance in Venedig« in der Staatsgalerie. Foto: Armin Knauer
»Das Martyrium des heiligen Stefanus« in der Ausstellung »Carpaccio, Bellini und die Frührenaissance in Venedig« in der Staatsgalerie.
Foto: Armin Knauer

Der Besucher taucht ein in eine Welt, in der Ost, West, Nord und Süd zusammentrafen. Das osmanische Reich, das römisch-deutsche Kaiserreich, die italienischen Republiken, Frankreich – mit allen musste man sich auseinandersetzen, oft genug kriegerisch. Und alle finden sich auf Carpaccios Bilder. Im »Martyrium des Heiligen Stefanus« etwa, einem der beiden Glanzstücke aus der eigenen Sammlung, ist der Heilige selbst an den Rand gerückt. Um Platz zu machen, damit der Künstler ganz in osmanischen Kostümen schwelgen konnte.

Überraschende Entdeckung

Das Bild wurde zuletzt aufwendig restauriert und mit Röntgenstrahlen und Infrarotlicht durchleuchtet. Genau wie das zweite Glanzstück aus der eigenen Sammlung: »Der heilige Thomas von Aquin mit den Heiligen Markus und Ludwig von Toulouse«. Hier landeten die Forscher einen Volltreffer. Der Hintergrund, der sich nach oben in ein Gewimmel von Wolken und Putten öffnet, war ursprünglich mit Butzenscheiben gestaltet. Verbeugung Carpaccios vor seinem Auftraggeber Tommaso Dragan, der eine Glaswerkstätte betrieb. Dieser war wenig begeistert – seine Spezialität waren Kristallgefäße, nicht Fensterglas. Die Scheiben mussten weg.

»Der heilige Thomas von Aquin mit den Heiligen Markus und Ludwig von Toulouse« in der Staatsgalerie.
»Der heilige Thomas von Aquin mit den Heiligen Markus und Ludwig von Toulouse« in der Staatsgalerie. Foto: Armin Knauer
»Der heilige Thomas von Aquin mit den Heiligen Markus und Ludwig von Toulouse« in der Staatsgalerie.
Foto: Armin Knauer

Die Kuratorinnen führen den Besucher erst in einen Zeitstrahl-Raum, der Lebensstationen von Bellini und Carpaccio mit politischen Ereignissen der Zeit verknüpft. Der nächste Raum rückt das Altarbild mit Thomas von Aquin ins rechte Licht. Und erläutert mit einem Video die aufwendigen Forschungen. Im Grunde ist die Ausstellung ein Ableger der Forschung. Ermöglicht, weil neben dem Land auch die Ernst-von-Siemens-Stiftung und die Wüstenrotstiftung Geld gaben, die Adriani-Stiftung den Katalog finanzierte.

Der Bürger wird sichtbar

Weiter geht's mit einem Raum voller Porträts. Etwas mittelalterliche Stilisierung klingt in den Darstellung Carpaccios wie Bellinis nach. Und doch dringen beide erstmals in die private Sphäre vor. Machen den einzelnen Bürger sichtbar. Und die Bürgerin: Carpaccio porträtiert oft Frauen, hält sie beim Lesen fest; auch eine Mariendarstellung zeigt die Mutter Jesu in die Lektüre vertieft. Der Maler schätzt Damen mit Bildung.

Ai Weiweis Lego-Version von Carpaccios Drachentöter.
Ai Weiweis Lego-Version von Carpaccios Drachentöter. Foto: Armin Knauer
Ai Weiweis Lego-Version von Carpaccios Drachentöter.
Foto: Armin Knauer

Ein drittes Hauptwerk Carpaccios ist sein heiliger Georg beim Kampf mit dem Drachen. Das Bild mit dem lebensnah dargestellten Pferd, der Tiefe der Landschaft, dem Schwung der Bewegung, hat man von der Georgs-Abtei auf der venezianischen Insel San Giorgio Maggiore ausgeliehen. An der Wand gegenüber prangt eine Entgegnung des chinesischen Kunststars Ai Weiwei: Das Vorbild hat er in farbige Legosteinchen übersetzt. Der Drachentöter wirkt wie ein verpixelte Computerbild.

Von Dürer abgekupfert

Auch den Wechselbeziehungen mit dem Norden spürt die Schau nach. Von den Niederländern übernahmen Bellini und Carpaccio die Mode, Maria vor einer lichtdurchfluteten Landschaft darzustellen. Von Dürer ließen sie sich durch seine Holzschnitte inspirieren. Dürers Zyklus zum »Marienleben« ist komplett zu sehen – umwerfend in ihrer erzählerischen Fantasie!

Venezianische Seemotive auf einem Bild Carpaccios aus seinem Zyklus zum Leben der heiligen Ursula, in der Ausstellung als hinter
Venezianische Seemotive auf einem Bild Carpaccios aus seinem Zyklus zum Leben der heiligen Ursula, in der Ausstellung als hinterleuchtete Replik zu sehen. Foto: Armin Knauer
Venezianische Seemotive auf einem Bild Carpaccios aus seinem Zyklus zum Leben der heiligen Ursula, in der Ausstellung als hinterleuchtete Replik zu sehen.
Foto: Armin Knauer

Einen Raum für sich hat Carpaccios Zyklus zum Leben der heiligen Ursula. Keine Originale, denn die riesigen Leinwände sind in der Galeria dell'Accademia in Venedig fest verbaut. Dafür sind die Repliken hinterleuchtet, entfalten ihren Detailreichtum unglaublich farbintensiv. Eine Geschichte voller Schiffsaufbrüche und -ankünfte - und Venedig als Kulisse.

Im letzten Raum stehen sich zwei »Beweinungen Christi« Bellinis gegenüber. Eine in delikaten Farben, eine einfarbig gemalt. Bei dieser Letzteren sind die Dargestellten ganz Trauer über den Tod Jesu. So wie Carpaccio mit seiner malerischen Erzählkunst, nimmt Bellini mit seiner Psychologisierung spätere Kunst vorweg. (GEA)