REUTLINGEN. Kennt man diese Welt nun oder kennt man sie nicht? Mit dieser Spannung des aus dem Alltag Vertrauten und der wie eingefroren-theatralen Inszenierung spielt Buket Aslantepe. Da ist zum einen der realistische Stil ihrer Tonskulpturen. Da sind Figuren wie der Morgenmuffel (eine Frau mit Schminkspuren und Kaffeetasse in der Hand), die Katzenliebhaberin oder die Seitenschläferin. Allesamt gearbeitet in Ton und so lebensnah, dass man fast meint, man müsse nur lange genug warten, um sie blinzeln zu sehen oder atmen zu hören.
Auf der anderen Seite kommt da das Karikaturhafte, die Ironie ins Spiel. Die bewusste Überhöhung, das Spiel mit Mythen oder Märchen, die augenzwinkernd unseren Alltag widerspiegeln. »Frau Molly« etwa, eine Dame mit Goldkette und kurzem Kleid und einem Mops an ihrer Seite, der ein goldenes Krönchen trägt. Überhaupt die Krone, sie taucht bei mehreren Skulpturen auf. Der »Froschkönig« – mit menschlichen Zügen, grün sein Körper, die Schuhe rot – trägt sie auf dem Kopf, aber auch das »Corona-Date«, eine Fantasiegestalt, die einem Kopf ohne Unterleib oben rauswächst. Oder ist es umgekehrt? Hat die Gekrönte statt eines Unterleibs noch einen Kopf?
Märchenassoziationen
Buket Aslantepe, 1971 in Bilecik in der Türkei geboren, hat an der Hacettepe-Universität in Ankara bildende Kunst studiert und ist seit 1996 in Reutlingen als freischaffende Künstlerin tätig. Sie ist Mitglied der Gedok Reutlingen und zeigt derzeit Gemälde und Plastiken in der Galerie auf dem Podest in der Reutlinger Stadtbibliothek unter dem Titel »Zeitl-ICH«.
Schon beim Eintreten ins Gebäude wird man von ihrer Styrodur-Glasfaser-Plastik »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm« begrüßt. Eine Frauengestalt mit roten Haaren sitzt da auf dem Geländer der Galerie, den Blick nach vorn gerichtet, einen Teller mit roten Äpfeln vor sich haltend, von denen einige, vorbei an ihren Schuhen, die die türkische Flagge zeigen, nach unten fallend in der Bewegung eingefroren sind. Gut möglich, dass Buket Aslantepe sich hier selbst porträtiert hat.
Der Perspektivwechsel von Selbstsicht zu Fremdsicht ist bei ihr Teil des Spiels. Mit sich selbst, aber auch mit dem Betrachter. Ob sie aus dem Fundus der Märchenassoziationen schöpft oder aus dem Schatz der eigenen Lebenserfahrung: Immer scheinen ihre Werke Geschichten zu erzählen. Abzulesen in den Gesichtern, den Gesten, im Arrangement der Figuren. Sprechende Titel wie »Frau Reinweiß« oder »Eros in der Mittagspause« unterstreichen das. (GEA)
AUSSTELLUNGSINFO
Die Ausstellung »Buket Aslantepe: Zeitl-ICH« ist bis zum 15. Januar in der Galerie auf dem Podest in der Reutlinger Stadtbibliothek, Spendhausstraße 2, zu sehen. Geöffnet ist Dienstag bis Freitag von 10 bis 19 Uhr, Samstag von 10 bis 14 Uhr. (GEA)