REUTLINGEN/STUTTGART. In Zeiten, da alles immer digitaler wird und so mancher Song im Radio klingt, wie von Künstlicher Intelligenz programmiert, feiert die handgemachte Musik ein Comeback. Musik, wie sie die Bigband Gablenberg am 22. März im Oertel-Saal des Reutlinger General-Anzeigers zelebriert. Mit richtigen Instrumenten und jeder Menge Bläserpower. Das alles auf Einladung des Inner-Wheel-Clubs Reutlingen-Tübingen und für einen guten Zweck: Der Erlös geht an den Verein Wir Menschenkinder, der Kinder von psychisch kranken oder suchtkranken Eltern hilft.
Vorab hatte der GEA den Dirigenten des Ensembles, Tobias Becker, an der Strippe. Also, Herr Becker: Was wird geboten im Oertel-Saal? "Das geht in die klassische Bigband-Swing-Richtung, mit Standards wie "Route 66" oder "Georgia In My Mind". Dass man mit dieser handgemachten Musik einen Nerv trifft, ist auch seine Beobachtung: "Man erreicht damit auch jüngere Leute."
Klassiker von Duke Ellington
Die Bigband Gablenberg blickt auf eine lange Geschichte zurück. Gegründet wurde sie 1884 – und stellte sich immer wieder auf neue Situationen ein. Auf eine volkstümliche Phase in den 1970ern und 1980ern folgte mit dem Generationswechsel der Umschwung zur Bigband-Musik. Die ihrerseits ein Jubiläum feiert: Mitte der 1920er-Jahre, also vor fast genau 100 Jahren, kamen in Chicago die ersten größer besetzten Jazz-Combos auf. »Die spielten damals noch eine stark vom Dixieland-Sound geprägte Musik«, weiß Tobias Becker. Mit seinem Ensemble setzt er stärker auf die goldene Swing-Ära der 1950er/60er. Damals entstanden die großen Jazz-Klassiker von Duke Ellington oder Count Basie.
Was macht für Becker den Reiz des Bigband-Sounds aus? »Es muss grooven! Wobei das schnell gesagt, aber nicht leicht zu erreichen ist.« Es reiche nicht, die richtigen Noten zu spielen. Der Groove, dieses Mitreißende im Sound, entstehe erst durch das, was zwischen den Noten steht. »Das ist schwer zu vermitteln, weil es sich im Bereich des Fühlens abspielt. Aber das ist es, was die Leute von den Sitzen reißt.«
Comeback in der Popmusik
Nachdem in den 1980ern und 90ern Rock, Disco und Techno dominierten, feiert der Bigband-Sound schon länger auch in der Popmusik eine Wiederauferstehung. Robbie Williams sei einer der ersten gewesen, der mit einer Bigband auf Tour ging, erinnert sich Becker. In Deutschland hätten Roger Cicero oder Max Mutzke Pop und Bigband-Sound verknüpft. Popsongs im swingenden Gewand spielen auch bei der Bigband Gablenberg eine wichtige Rolle.
Dabei muss das Ensemble sich in einer anderen Umgebung behaupten als die meisten Musikvereine. Während diese meist im dörflichen Milieu verwurzelt sind, wurde Gablenberg bereits im 19. Jahrhundert von der wuchernden Großstadt Stuttgart geschluckt. Heute ist Gablenberg Innenstadtviertel. Was eine Unmenge an Konkurrenz mit sich bringt: »Stuttgart ist kulturell ungemein lebendig, da ist man mit seinem Event nur eines von vielen«, schildert Becker.
Kapelle im Großstadtmilieu
Die Bigband spielt ihr heimatliches Jahreskonzert denn auch nicht im Ortsteil, sondern in der Liederhalle. Schick, aber in so einem Ambiente muss man erst einmal bestehen. Davon abgesehen sei man wesentlich mehr unterwegs als die meisten Musikvereine. Man war schon öfter in der Nürtinger Stadthalle K3N zu Gast – und ist es nun im Oertel-Saal. Auch da gelte: Bei den Auswärtsspielen sei man stärker gefordert, müsse das Publikum erst überzeugen. »Das ist ja nicht das Heimatpublikum, das einen sowieso kennt.«
Und wohin geht es in Zukunft mit der Bigband-Musik? Die handgemachte Musik werde ihren Stellenwert behalten, ist der Dirigent überzeugt. Ein Massenphänomen wie in den 1950ern, als Bigband-Musik den Soundtrack zu fast allen kulturellen Großveranstaltungen stellte, werde sie aber nicht wieder sein. Sie werde ein Genre unter vielen bleiben – das freilich weiterhin seine Liebhaber hat. Ein Trend sei es, die typische Bigband-Besetzung zu öffnen, auch andere, alternative Instrumente hinzuzuziehen. Manche Ensembles würden dabei in eine eher künstlerische Richtung gehen, andere sich eher der Unterhaltung verpflichten. Beim Konzert im Oertel-Saal ist Unterhaltung angesagt – aber auf Topniveau. (GEA)