REUTLINGEN. Eine riesige Rolle mit Luftpolsterfolie, eine Überseekiste, überdimensionale Kartonagen und eine Tischtennisplatte – Dinge die man eher in einer Spedition erwarten würden, in der es Tischtennisfans gibt. Der hohe, helle Raum ist jedoch das Atelier des Künstlers Eckart Hahn.
Dieses ist für ihn kein »Showroom« mit Designermöbeln, sondern ein »reiner Arbeitsraum«. Zum Arbeiten braucht er eigentlich nicht viel Platz, aber für die Logistik. Mit dem Verpackungsmaterial transportiert er seine Bilder zum Beispiel zu Ausstellungen nach Berlin und New York. Im Moment arbeitet er an Bildern, die ab 14. Oktober in der Galerie Crone in Wien ausgestellt werden.
»Mich interessieren eigentlich immer die Dinge, die nicht so klar sind«
Einige Bilder liegen jedoch in einer Ecke des Ateliers. Nicht alle gehören ihm, sondern Sammlern, die keinen Platz für sie haben. Manche seiner Kunstwerke verkauft er aber bewusst nicht, obwohl das viel Platz braucht. Wenn der Wert seiner Bilder aus einer bestimmten Schaffensphase stark steigen würde, wäre es bitter, wenn er alle Exemplare verkauft hätte. Trotz aller Logistik dürfen natürlich eine Staffelei, Pinsel und Farbflaschen nicht fehlen. Hahn malt mit Acryl. Wenn er eine Idee hat, macht er nicht erst lange Studien, sondern nur eine Skizze. »Dann fange ich eigentlich gleich an, auf die Leinwand vorzuzeichnen«, sagt er. Dann entsteht das Kunstwerk Schicht für Schicht, von hinten nach vorne. Eher selten ändert er während dieses Prozesses etwas an seiner ursprünglichen Idee. Die Leinwände, auf die er malt, stellt er selbst in seiner Werkecke her.
Das Zentrum des L-förmigen Ateliers bildet die Tischtennisplatte. Sie ist nicht nur ein Arbeitsplatz, sondern wird auch sportlich genutzt: Hahn spielt dort immer wieder mit seiner Tochter Tischtennis. »Ich bin ein totaler Familienmensch«, erzählt er. Darum geht er abends gerne nach Hause und versucht auch, an Wochenenden nicht im Atelier zu sein.
Neben der Tischtennisplatte und in der Sitzecke mit der blauen Couch stehen viele CDs. »Ich hör’ unglaublich gern Musik«, sagt Hahn. Hörbücher sind ebenfalls wichtig für ihn: Er bezeichnet sie als »akustische Kokablätter«. Wie Minenarbeiter Kokablätter essen, um wach zu bleiben, hört er Hörbücher von Tolstoi und Stephen King oder den Podcast »Sternstunde Philosophie«, um weiterarbeiten zu können. »Ohne Hörbuch ist es manchmal schwierig.«
Hahn erklärt, dass er nicht wie manch anderer Künstler in Schüben arbeitet. »Bei mir ist es ein steter Fluss.« Er arbeitet 40 bis 60 Stunden in der Woche. »Also ein sehr bürgerliches Leben.« Für ein Bild braucht er zwischen 40 und 250 Stunden. Das kommt daher, dass seine Werke sehr unterschiedliche Größen haben. »Das größte dürfte so 2,50 Meter auf 1,80 Meter gewesen sein.«
Am Anfang des Bildes steht eine Idee. »Mich interessieren eigentlich immer die Dinge, die nicht so klar sind.« Durch seine Bilder kann er Probleme zwar nicht lösen, aber sie sind eine Art Bewältigungsstrategie. Mit ihnen drückt er eine neue Perspektive auf die Welt aus.
»Vögel haben die Möglichkeit, auf ihr eigenes Denkmal zu scheißen«
Zum Beispiel führt er in einem seiner Bilder dem Betrachter vor Augen, wie Vögel mit Selbstdarstellung umgehen. »Vögel haben die Möglichkeit, auf ihr eigenes Denkmal zu scheißen«, sagt er. Darum sind im Bild bunte Vögel auf einem steinernen Artgenossen platziert.
Hahn malt viele Tiere. Zum einen, weil sie wie die Natur ein »ganz starker Begleiter« in seinem Leben waren. Zum anderen bewundert er ihre Fähigkeit, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind.
Die Tiere malt er sehr realistisch – manche ordnen seine Kunst dem Fotorealismus zu. »Mir geht es nicht darum, dass es ein fotorealistisches Bild wird, sondern ein plausibles Bild«, erklärt er. Nicht die aufwendige, realistische Machart ist ihm wichtig, sondern die Aussage des Bildes an sich. »Die Leute versuchen immer, einen -ismus zu finden«, so der Künstler. Für ihn spielt das keine Rolle.
Für die Plausibilität seiner Bilder lässt er keine echten Tiere Modell sitzen. Ganz versteckt hängen an einer Wand in Hahns Atelier ausgestopfte Vorlagen.
Was der Künstler in seiner Freizeit macht, verraten die Fahrräder im Atelier: Er radelt gerne auf der Alb. Die Natur rund um Reutlingen ist ein Grund, warum der gebürtige Freiburger hier so gerne lebt. »Fast alle meine Künstlerfreunde leben in Berlin.« Hahn könnte sich nicht vorstellen, dort zu leben, obwohl seine Frau aus Berlin stammt. Dort ist es ihm zu stressig: »Es ist ein ganz anderer Trubel.«
Eigentlich hatten er und seine Frau eine Wohnung bei Stuttgart gesucht, aber in Reutlingen war etwas frei. So sind sie »ein bisschen zufällig« nach Reutlingen gekommen.
Allerdings mochte Hahn die Stadt schon, als er noch in Tübingen Kunstgeschichte studierte. »Mir hat Reutlingen von Anfang an besser gefallen«, so Hahn. Tübingen sei eine Insel und bilde nicht das ganze Leben ab.
Hahn ist dankbar für den 120 Quadratmeter großen Raum in der Nähe der Echaz. Auch wenn es sein Arbeitsplatz ist, ist es für ihn ein privater Raum. Der international renommierte Künstler arbeitet gerne ungestört. Darum fühlt er sich in der Einsamkeit seines Ateliers zwischen Kartons und Kunstwerken wohl. (GEA)
