In seinem »War Requiem«, 1962 zur Einweihung des Neubaus neben der von deutschen Bomben zur Ruine gemachten alten Kathedrale von Coventry uraufgeführt, vertont Benjamin Britten neben den lateinischen Texten der Totenmesse anklagend pazifistische Lyrik des im Ersten Weltkrieg gefallenen jungen Dichters Wilfried Owen. Er legte das Werk in jeder Hinsicht monumental an. Er wollte Wirkung. Bei allem Erschütternden hört sich Brittens Tonsprache inzwischen aber etwas aufgeblasen und substanzarm an. Er, der sich dem damaligen Diktat von Zwölftontechnik und Serialität verweigerte, wusste den Freiraum nicht so richtig kreativ aufzufüllen. Effekt statt Einfall. Klang statt Figur – streng genommen ist kein einziges Stück tief einprägsam in Melodik, Rhythmus oder vielstimmiger Struktur, außer dem überwältigend verklingenden Dur-Schluss a cappella.
Den Sängern und Instrumentalisten gelang es exzellent, Atmosphäre zu schaffen, Brittens Methode funkeln zu lassen, mit der er eher einfache tonale Harmonik mit schneidenden Dissonanzen anschärft und robuste Rhythmen mit ein paar Widerhaken aus dem geraden Takt bringt. Die lyrischen Rezitative sind von einer melodischen Einfallslosigkeit geprägt, die auch filmmusikhafte Effekte wie Tremendi, Crescendi oder perkussive Einwürfe nicht wirklich eindrücklich machen können. Immerhin, alle drei Gesangssolisten versuchten mit feinster stimmlicher Gestaltung ein Höchstmaß an Ausdruck in ihre Partien zu bringen. Aber da setzt einfach der Notentext Grenzen.
Die Chöre sangen großartig, wurden allerdings auch weniger gefordert, als es den Anschein macht. Einmal eingehört in die dissonanten Reibungen, singt sich das »War Requiem« mit seinen robusten Figuren leicht, zumal wirkliche Klangkultur nur am Ende gefordert ist – und da bravourös ausformt wurde. Höchstes Lob haben auch die vielen instrumentalen Soli verdient, von denen die Percussion die meisten und vielleicht wichtigsten liefern musste.
Eine sichere Bank
Die Röhrenglocken gemahnen an Berlioz. Bach, Mozart und Verdi klingen an – Britten kannte sich aus. Aber auch das sind wieder nur Materialien, die nicht wirklich musikalisch verarbeitet werden: In einem gewissen Gleichmaß gereiht. Die Übergänge, eigentlich simpel abgetrennte Stabübergaben, gelangen beiden Dirigenten problemlos.Bei aller Wucht des Themas, allem Aussagewillen des »War Requiem« bleibt es doch auch in einer so perfekten Interpretation ein wenig plakativ, ein bisschen an der Oberfläche, seltsam wenig einprägsam. Das änderte nichts an der Begeisterung des Publikums in der ausverkauften Stiftskirche. Im pazifistisch geprägten Tübingen ist Brittens Oratorium eine sichere Bank. Nach angemessener Stille brach der verdiente Beifall los. (GEA)