REUTLINGEN. Die Szene ist zwanglos, unter freiem Himmel und geprägt von der Interaktion zwischen Menschen. Ein Kunde in Jeans und weißem Hemd hat auf einem hohen grünen Stuhl Platz genommen, die Füße auf kleinen Podesten. Davor sitzt ein Mann mit Käppi, der die Schuhe putzt, neben ihm ein weiterer Mann, der Kaffee aus der Thermoskanne anbietet. Im Hintergrund unterhält sich ein Pärchen auf einer Bank. Beobachtet und eingefangen hat die Szene Sebastian Lorenz (33) im Heimatland seiner Verlobten in Bolivien.
Lorenz stellt unter dem Titel »Perspektivwechsel« seit Sonntag in der Produzentengalerie Pupille aus. Hans Gunsch konnte bei der Vernissage am Sonntag ein großes Publikum begrüßen. Welches sicherlich mit einer gehörigen Portion Neugier gekommen war, denn Lorenz, 1991 in Bad-Cannstatt geboren und aufgewachsen in Waiblingen-Beinstein, ist noch relativ unbekannt. Gleichwohl gewann er unter anderem 2020 den Publikums- und Förderpreis für junge Künstler der Reihe »IR_REAL– jung + gegenständlich« in der Galerie Bodenseekreis in Meersburg.
Früh von Kunst gefesselt
Bereits in jüngsten Jahren war Lorenz von Kunst gefesselt. »Zuerst habe ich Comics und Mangas gezeichnet«, berichtet er. Doch bereits mit 13 besuchte er Kurse in der Kunstschule Unteres Remstal und bezeichnet seinen Lehrer Andrej Dugin, Mitglied des Stuttgarter Künstlerbunds, als wichtigen Einfluss. »Es war sehr hilfreich, dort die Grundlagen vermittelt zu bekommen.« Danach studierte er Kunst an der Freien Kunstschule Stuttgart. Es folgte ein Studium in Kunst und Geschichte auf Lehramt in Stuttgart. Aktuell ist Lorenz als freier Dozent für figürliche und gegenständliche Malerei und Zeichnung sowie als freier Künstler tätig und lebt in Fellbach.
»Meine Eltern haben mich immer in meinem Kunstschaffen unterstützt, meine Mutter hat selbst Musik studiert«, berichtet Lorenz. Ein Satz wie, er solle »ebbes G´scheits macha«, sei nie gefallen. Seinen gegenständlichen Stil, wie er in der Pupille gezeigt wird, entwickelte Lorenz schon früh. Henner Grube, der den Einführungsvortrag der Vernissage hielt, betonte, dass Gegenständlichkeit lange Zeit Gefahr lief, »von der Abstraktion an den Rand gedrängt« zu werden. Glücklicherweise habe sich dies geändert.
Kräftige Farben
Große Formate, kräftige Farben, unzählige Nuancen von leuchtendem Blau schaffen eine Atmosphäre, die den Betrachter magisch anzieht. »Die Bilder sind wie Diamanten an den Wänden«, so Grube. Fast meint man, nicht nur von außen die Szenen des Schuhputzers, des Flohmarkts oder der kartenspielenden Männer zu beobachten, sondern selbst Teil des Bildes zu werden, hineinlaufen zu können und dort den Menschen zu begegnen. Lorenz wurde als vorletztes von fünf Geschwisterkindern geboren. Wie Menschen miteinander interagieren, ist ihm von frühester Jugend an vertraut.
Seine Motive, zu denen neben Menschen beispielsweise auch alte Segelboote gehören, die er in Kroatien entdeckte, und deren Materialien ihn interessierten, findet Lorenz oft unter freiem Himmel. Dort sei das Licht für ihn besser als im Innenraum. Fotos und Skizzen dienen als Vorlagen für die späteren Acrylgemälde, doch diese können auch, wie beim »Flohmarkt«, eine Synthese von Zeichnungen, Eindrücken und Erinnerungen darstellen. In der Pupille ausgestellt sind außerdem filigrane Zeichnungen von Gesichtern oder reizvolle Landschaften mit starken Schwarz-weiß-Kontrasten, die gleichzeitig eine genaue Beobachtungsgabe und eine absolute Beherrschung von Malmitteln, Perspektiven und Proportionen beweisen. (GEA)