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Begeisterndes Ukraine-Gastspiel beim Europäischen Theaterfestival Stuttgart »Achtung Freiheit«

Wie Kunst und Kultur zum Ausdruck von Resilienz werden kann, zeigte die Aufführung von Hryhorii Kvitka-Osnovianenkos »Hexe von Konotop« als Gastspiel des Kyiver Ivan-Franko-Nationaltheaters in der Originalsprache mit deutschen Übertiteln.

Schwarze Komödie zwischen Aberglaube und Aufklärung beim Stuttgarter Gastspiel des Ivan-Franko-Nationaltheaters aus Kyiev
Schwarze Komödie zwischen Aberglaube und Aufklärung beim Stuttgarter Gastspiel des Ivan-Franko-Nationaltheaters aus Kyiev Foto: Julia Weber
Schwarze Komödie zwischen Aberglaube und Aufklärung beim Stuttgarter Gastspiel des Ivan-Franko-Nationaltheaters aus Kyiev
Foto: Julia Weber

STUTTGART. Für seine 35 Jahre kann er bereits auf eine eindrucksvolle künstlerische Laufbahn zurückblicken, der ukrainische Regisseur Ivan Uryvskyi. Schon als er 2015 als stellvertretender Chefregisseur ans Vasyl-Vasylko-Theater nach Odessa kam, inszenierte er ausgefallene Stücke wie Gozzis »Turandot«. Mit 30 wurde er Chefregisseur am Kyiver Ivan-Franko-Nationaltheater. Dort widmete er sich Klassikern wie Schillers »Maria Stuart«, Ibsens »Peer Gynt« oder Camus‘ »Caligula«, doch er entdeckte auch ukrainische Autoren neu wie Hryhorii Kvitka-Osnovianenko. Der schrieb 1837 eine satirische, bis heute zur Pflichtlektüre an ukrainischen Schulen gehörende Novelle, in der er die Bewohner des fiktiven Dorfs Konotop samt ihrer Sitten und Gebräuche, doch auch ihrer Verführbarkeit und dummen Autoritäten- wie Abergläubigkeit kräftig aufs Korn genommen hat. Was durchaus an das zweite Buch der »Geschichte der Abderiten« erinnert, die gut eine Generation vorher Christoph Martin Wieland veröffentlicht hatte. »Die Hexe von Konotop« heißt diese abgründige Kurzgeschichte, aus der Ivan Uryvskyi ein tragik-komisches Theaterstück formte. Und dies so erfolgreich, dass es nach seiner Premiere 2023 auch im Ausland nachgespielt wurde und ihm zu seinen bisherigen renommierten Theaterpreisen noch einen weiteren eintrug. Und die Einladung zum Europäischen Theaterfestival nach Stuttgart, wo er seine Produktion nun in der Originalsprache mit deutschen Übertiteln vorführte.

Im Mittelpunkt der Handlung steht der Kosaken-Hauptmann Mykyta, der seinen Militärdienst ziemlich desinteressiert, ja verdrießlich ausübt. Zumal er sich um diesen Posten auch nie ernsthaft bemüht hat. Denn der wird in seiner Familie schon seit Generationen einfach vererbt. Außerdem er hat andere Sorgen, hat ihm doch die hübsche Fähnrichs-Tochter Olena bei seiner Brautwerbung eine Abfuhr erteilt. Weil sie sich für den Dorfrichter Demian interessiert.

Da kommt ihm noch zu allem Überfluss ein Marschbefehl ins Haus. Dem Folge zu leisten er alles andere als willens ist. Was tun? Sein schlauer Adlatus Pistriak, der auch keine Lust aufs Ausrücken hat, weiß Rat und lässt die vorgesetzte Stelle wissen, die Kosaken aus Konotop seien unabkömmlich. Denn sie hätten etwas Wichtigeres zu erledigen. Eine Hexenjagd.

Wendepunkt von der Komödie ins Drama

Ab da wird die Geschichte heftig. Denn Pistriak, der schon alle möglichen absurden Vorwürfe gegen Demian erhoben hat, um ihn als Richter unmöglich zu machen, bläut nun den dringend auf Regen wartenden bäuerlichen Dorfbewohnern ein, dass Hexen die Schuld am Verdorren ihrer Felder trügen. Sie würden des Nachts heimlich die Kühe, Schafe, Katzen und Frösche melken, mit deren Milch die Himmelsschleusen verstopfen und so die gesamte Menschheit ausrotten wollen. Man werde daher einige Frauen in den Dorfteich werfen. Jene, die ertrinken, seien keine Hexen und daher unschuldig, doch wer überlebt, sei eindeutig eine Hexe.

Tatsächlich überlebt Yavdokha die üble Prozedur. Ihr gelingt das Entrinnen. Und sie agiert von nun an wie ein weiblicher Puck. Als Mykyta heimlich zu ihr geht, um mittels Zauberkraft die Liebe zu Olena zu erringen, gibt sie ihm eine Zauberformel mit auf den Weg. Was natürlich Demian bekümmert. Worauf sie diesen mit einem modifizierten Zauberspruch unterstützt und Mykyta mit einer hässlichen Schrulle vermählt. Der zu allem Überfluss noch wegen Ungehorsams seines Postens enthoben wird und zusammen mit Pistriak das Weite sucht. Mykytas Nachfolger wird Demian, dessen Ehe mit Olena jedoch unglücklich endet. Denn die lässt sich mit dem jungen Nachfolger von Pistriak ein. Und das letzte, durchaus hämische Wort dazu hat Yavdokha.

Theater stärkt Resilienz

Ivan Uryvskyi ist es mit seinem mitreißend agierenden Ensemble gelungen, in der Verbindung aus perfekt zwischen früher Mehrstimmigkeit, Opernparodie und Rap oszillierender Bühnenmusik und schauspielerischer Intensität ein schwarzes Kammerspiel voller Doppelbödigkeit und bitterem Humor zu inszenieren. Der Wendepunkt der Komödiantik ins Dramatische – die Ertränkung der unschuldig als Hexen angeklagten Frauen – wird dabei auf hochkünstlerische Weise eindringlich sublimiert. So beglaubigt Uryvskyi zugleich, für wie relevant er den Autor noch nach fast 200 Jahren gerade jetzt hält. Weil – wie er schreibt - die Figuren präzise gezeichnete Archetypen seien und er dem Publikum mit dieser Burleske ein wenig Licht vermitteln will, »denn Humor gibt uns Ukrainern immer einen Impetus zum Handeln«. Das Stück zeige überdies den noch immer erforderlichen Kampf der Frauen um Gleichberechtigung in einer von Männern beherrschten Welt und spiegele zugleich die Resilienz der Ukraine in Kriegszeiten.

Dieser Gedanke spann auch den roten Faden für die kluge Eingangsrede von Wissenschafts- und Kunstministerin Petra Olschowski. Zutreffend verwies sie auf die identitätsstiftende Bedeutung von Theatern als Kraft und Zuversicht spendende Orte in Zeiten der Drangsal für eine liberale Gesellschaft. Was nach Russland mittlerweile auch in den USA zu beobachten sei und jüngst in der Türkei mit der Verhaftung des Kulturdezernenten von Istanbul. Mahnende Worte vor einem außergewöhnlichen Abend im voll besetzten Stuttgarter Schauspielhaus. (GEA)