STUTTGART. »Wir sind die Landschaft, die sich erhebt«, verkündet lauthals singend »Die Bockige«, hinreichend kratzbürstig gespielt von Véronique Weber-Karpinski. »Was ist das Leben, nach dem ihr strebt?«, vervollständigt Oliver Wagner als »Der Pflüger« den Refrain ihres Protestsongs. Pickepackevoll präsentiert sich der Innenhof im Stuttgarter Alten Schloss an diesem vorsommerlichen Mittwochabend; kaum ein Platz an den Biertischgarnituren bleibt unbesetzt bei der Premiere von »Uffrur! … on the road«.
Die mobile Theater-Roadshow gehört zu den fünf Projekten der Großen Landesausstellung »500 Jahre Bauernkrieg« und flankiert neben der an diesem Wochenende letztmals im Stuttgarter Landesmuseum Württemberg gezeigten Erlebnisausstellung »Protest! Von der Wut zur Bewegung«, der Mitmachausstellung »Zoff!« im angeschlossenen Kindermuseum und der just eröffneten Sonderschau »Uffrur! Utopie und Widerstand im Bauernkrieg 1524/25« in Bad Schussenried auch das digitale Storytelling-Projekt »Laut seit 1525«.
Erlebniswelt mit Jahrmarktflair
Als »Erlebniswelt mit Jahrmarktflair« konzipiert wird das Theater- und Musikspektakel »Uffrur! … on the road« noch bis Oktober an 15 weiteren Standorten in Südwestdeutschland Station machen, um auch die Reichweite der sozialen Erhebung vor einem halben Jahrtausend zu markieren, unter anderem in Böblingen (18. Mai) und Kirchheim unter Teck (13. Juli). Die zentrale Prämisse des am Kapuziner Kreativzentrum Ravensburg entwickelten Geschichtsevents (Produktionsleitung: Daniel Knapp) ist die Vorstellung einer Zweiklassengesellschaft.
Um die seinerzeitige Kluft zwischen Arm und Reich anschaulich zu vermitteln, werden die Besucher beim Einlass in zwei Gruppen eingeteilt: Die Schlosshofhälfte der »Privilegierten« ist von Buden voller Vergnügungsangebote umgeben, während den »Benachteiligten« freigestellt ist, Protestschilder oder Tränen zu basteln. Die Pointe, an der auch ein wenig britischer Humor seitens des Regisseurs Martin Butler offenkundig wird: An den »billigen Tischen« landen diejenigen, die ein Picknick mitgebracht haben – »die Reichen teilen ja nicht«, so Butler, der 2016 an der Deutschen Oper Berlin die Versace-Oper »Gianni« inszeniert hat, im Gespräch mit dieser Zeitung.
Hochgeborene und Geächtete
Die Konflikte der Epoche am Beginn der Neuzeit hat die österreichische Dramatikerin Carolyn Amann, die 2023 am Theater Münster mit Manuel Zwerger für das von Henrik Ibsens Drama »Klein Eyolf« inspirierte Musiktheaterstück »Great Open Eyes« zum Thema Trauer und Kindverlust verantwortlich zeichnete, zu einem kompakten Tableau von Stellvertreterfiguren in einem Sieben-Personen-Stück komprimiert. Je nach lokalen historischen Begebenheiten kann das Figurenarsenal variieren.
Anne von Hochgeboren (Elisabeth Schuller grandios rollendeckend mit aristokratischer Autorität und eiskalt-kristalliner Diktion) vertritt zähnefletschend den Standpunkt des Adels. Den des Klerus vermittelt der Bauernprediger, verkörpert durch Sascha Wolf. Darstellerisch überzeugend ist er auch als »Der Geächtete«, in dem man in Stuttgart den an ebendiesem Ort erzogenen Ulrich von Württemberg erkennen darf. Sängerisch wirkt er allerdings überfordert. Alle Interessen treffen im sechseckigen Pavillon der auf der Grenze zwischen Arm und Reich gelegenen Schenke zusammen, die allen offensteht, wie der Narr in seiner Funktion als Wirt proklamiert (Jens Lamprecht in der eigentlichen Erzählerrolle).
Budenzauber und Zirkusästhetik
Eine Mischung aus Brettspiel-, Budenzauber- und Wanderzirkusästhetik beherrscht das Set-Dekor (Bühnenbild: Marcus Bendel). Ähnlich fellinihaft fantasievoll-gegenwärtig sind die Gewänder. Etwa ein dunkelbrauner Breitcordanzug für den Bauernprediger (Kostüme: Katja Rinné). »Ich wollte im Design so weit wie möglich weg vom Mittelalter, auch um unerfüllbaren Ansprüchen historischer Korrektheit zu entgehen«, erläutert Butler. Mit Ausnahme des Livegesangs erklingt die Musik von Benny Spähn lediglich als Einspieler – das mag man bedauern. Erfreulich indes, dass im Finale stets lokale Akteure eingebunden sind: In der Landeshauptstadt waren das der Vorchor der Stuttgarter Hymnus-Chorknaben und der Kreuzchor Stuttgart.
Weitere Aufführungen
Weitere Aufführungen von »Uffrur! ... on the road« sind in Weingarten (10.5.), Heilbronn (17.5.), Böblingen (18.5.), Bretten (24.5.), Lauda-Königshofen (1.6.), Messkirch (15.6.), Rothenburg/Tauber (28.6.), Weinsberg (29.6.), Memmingen (11.7.), Kirchheim/Teck (13.7.), Neuenstein (19.7.), Jagsthausen (27.7.), Sulz am Neckar/Schloss Glatt (2.8.), Laupheim (13.9.) und Maulbronn (12.10.). (GEA
www.bauernkrieg-bw.de
Am Beginn des Bauernkriegs stand das Aufbegehren gegen Leibeigenschaft und Frondienst. Am Ende hängt der Schwarzpulverdampf schwer und stechend über der Szene. 70.000 Tote sind zu beklagen. Doch die zwölf Artikel von Memmingen waren eine der frühesten Manifestationen von Freiheitsrechten, eine Keimzelle zur Norm der Menschenrechte. Und die Utopie, nach der »Der Pflüger« anfangs fragte? »Proto-Kommunismus«, meint Butler und verweist auf Friedrich Engels Streitschrift »Der deutsche Bauernkrieg« (1850). Nach dem Theaterstück vermischen sich die Sphären, treffen »Privilegierte« auf »Benachteiligte«. Eingebettet ist die Roadshow in ein Rahmenprogramm mit Musikhighlights der jeweiligen Region. (GEA)