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Baselitz und Oehlen: Einer fehlt vom Legenden-Duo

REUTLINGEN. Es kam, wie es kommen musste, wenn zwei solche Ikonen der Malerei in der Provinz aufschlagen: Der Kunstverein Reutlingen platzt am Sonntagmorgen bei der Vernissage der Doppelschau von Albert Oehlen und Georg Baselitz aus allen Nähten. Nebst reichlich Prominenz von OB Barbara Bosch bis hin zu Ex-Landesminister Nils Schmid drängt sich die fast komplette Kunstszene der Region in der Fabriketage.

Baum oder nicht Baum? Albert Oehlen vor einer seiner großformatigen Malereien.
Baum oder nicht Baum? Albert Oehlen vor einer seiner großformatigen Malereien. Foto: Armin Knauer
Baum oder nicht Baum? Albert Oehlen vor einer seiner großformatigen Malereien.
Foto: Armin Knauer
Nur einer fehlt, ausgerechnet der, auf den alle gewartet haben: Georg Baselitz, Kunst-Denkmal, Querdenker, scharfzüngiger Polterer gegen das neue Kulturgutschutzgesetz. Am Vorabend beim Empfang im kleinen Kreis war er noch in Reutlingen, wie Kunstvereinsleiter Christian Malycha berichtet. Signierte mit Albert Oehlen noch die Edition mit Radierungen, von denen jeder eine extra für die Ausstellung geschaffen hatte – auch, um das Projekt mit seinen irrwitzigen Versicherungssummen finanzieren zu helfen.

Aber gegen später habe sich Baselitz nicht mehr wohlgefühlt, so Malycha; vor drei Wochen sei der 78-Jährige am Herz operiert worden, hatte sich danach noch zu einer Reise nach New York verleiten lassen, nun war es zu viel; am Samstagabend noch reiste er mit seiner Frau zurück an den Starnberger See. »Der Schorsch ärgert sich sehr«, ließ seine Frau über Malycha ausrichten. Der Kunstverein mit seinen großen Räumen und das historische Industriegebäude insgesamt hatten Baselitz bei seinem Besuch Malycha zufolge ausgesprochen beeindruckt.

Kein Mann der großen Gesten

Blieb also der eine Generation jüngere Albert Oehlen, 62. Große Gesten und Worte, von Baselitz stets zu erwarten, liegen ihm nicht. Malycha musste den scheuen Künstler erst aus dem Hintergrund des Saals nach vorn rufen, wo er sich fast etwas verlegen am Rand hielt. Schwarzes T-Shirt, leuchtend farbige Joggingschuhe, das Sakko locker überm Arm, gab Oehlen sich entspannt und geduldig, auch später im Kontakt mit einem lebhaften Strom von Besuchern, die alle den frisch erworbenen Ausstellungskatalog von ihm unterschrieben haben wollten.

Von den Räumen zeigte er sich sehr angetan. Als international erfolgreicher Künstler hier auszustellen, dazu habe ihn vor allem die Aussicht bewogen, mit Georg Baselitz zusammenzuarbeiten, erzählt er. Den habe er vorher eher vom Sehen her gekannt, »aber ich bin mit einigen seiner Schüler befreundet«.

Die noch recht neuen Arbeiten von Baselitz habe er gekannt, als er seinen eigenen Zyklus gezielt für den Kunstverein konzipierte. Ob ihn die Malereien von Baselitz überrascht hätten? Er lächelt und und sagt, bei einem Baselitz müsse man immer auf etwas gefasst sein. Und obwohl seine und Baselitz' Arbeiten stark kontrastieren, sieht er Gemeinsamkeiten.

Letztlich geht es bei beiden um die Selbstbehauptung der Malerei. Bei Baselitz eher gegenüber einer ideologischen Vereinnahmung durch Kategorien wie abstrakt versus figurativ. Bei Oehlen, wie Malycha in seiner Einführung treffend erklärte, gegenüber der Anfechtung durch industriell-mechanische Bildgebungen von Computer bis Fotografie – deren Präsenz in Oehlens Bildern mitschwinge.

Jeder der beiden spielt ein Bildprinzip in sechs Variationen durch. Wie hier sechs Mal diese so gegensätzlichen Bildstrategien in wuchtigen Großformaten aufeinanderprallen, ist großartig. Bei Oehlen treten kernig schwarze Aststrukturen zum malerischen Kampf gegen den technisch-industriellen Nimbus einer weiß grundierten Aluplatte an.

Die Schuhe Frida Kahlos

Bei Baselitz tanzen die Schuhe von Frida Kahlo über den schwarzen Grund. In Anspielung auf Tanz-Notation und Andy Warhol erlebt man hier rund um eine bewusst freigelassene Mitte einen Tanz des Weiblichen. Wer hätte das von Baselitz gedacht? Und hier geht es letztlich um den Triumph des Lebenswillens, war doch die mexikanische Malerin Kahlo durch einen schweren Unfall stark behindert. Eine umso bewegendere Geste, als Baselitz ja selbst zuletzt mit den Grenzen des Körpers konfrontiert wurde. (GEA)