REUTLINGEN. So schnell ändern sich die Dinge. Noch vor wenigen Jahren war das Wendler-Areal ein großes Zentrum der Kulturnacht, nun spielte dieser südliche Zipfel der Kernstadt nur am Rande eine Rolle. Die Synchronschwimm-Nixen im Achalmbad zogen natürlich Publikum, doch war es dort nicht so überlaufen wie sonst. In früher gedrängt vollen Schauplätzen im südlichen und östlichen Bereich wie bei der Krimilesung im Amtsgericht oder bei der Songwriternacht des GEA im Oertel+Spörer-Saal war der Zustrom eher überschaubar. Dafür rückte nun der Norden und Westen viel stärker in den Fokus. Als stärkster Magnet entpuppte sich die Tanznacht in der Stadthalle. Die Darbietungen von Bauchtanz bis Tuch-Akrobatik – auch auf dem Vorplatz – waren durchweg von Besuchermassen umlagert und zeugten vom großen Interesse an den Vorführungen von Profis und ambitionierten Laien, darunter Akteure aus vielen Tanzschulen der Region.
Den großen Lichterzauber vermisste man etwas in der Innenstadt, am Marktplatz etwa; dafür hatte sich die Pomologie in einen von farbigem Schein durchfluteten Märchengarten verwandelt. Insgesamt war der Eindruck bei unseren Reportern, dass viele Kulturnachtgänger unterwegs waren – und doch kam man praktisch überall ohne Wartezeiten rein, fast überall fand man problemlos Sitzplätze. Selten spielten Künstler vor spärlicher Kulisse.
Die Alte Paketpost für die Kultur zu beleben, erwies sich als lohnende Idee. Die oberen Etagen entpuppten sich als fantastischer Ort für die Präsentation unterschiedlichster Kunstpositionen – mit den ehemaligen Büros als reizvollen Galerie-Kabinetten. Die großen Hallen im Erdgeschoss wiederum erwiesen sich als ideal, um zwei Konzertbühnen darin unterzubringen.
Teilweise bissen sich die Nutzungen allerdings etwas. Der harte Metal, der auf der Represent-Bühne teilweise geboten wurde, passte zwar bestens ins rohe Fabrik-Flair, wirkte aber tendenziell als Fremdkörper in Bezug auf die feine Kunst im Obergeschoss.
Gelungen war die Verknüpfung der Areale von Paketpost und franz.K mit einem Lichter-beschienenen Vorplatz, auf dem Essensstände fürs leibliche Wohl sorgten. Da kam Festival-Atmosphäre auf, man konnte zwischen den Häusern zwanglos hin- und herwechseln. Es war auch durchaus eine Menge Publikum da, und das bis weit in den Morgen hinein.
Auch für Jüngere interessant
Die Represent-Bühne zog immerhin auch jüngere Kulturgänger an. Die waren insgesamt bei der Kulturnacht unterrepräsentiert, meist überwog die Generation Ü40. Hier gibt es noch Justierungsbedarf, denn die Angebote an sich waren oft sicher auch für Jüngere interessant. Vielleicht müssen die Organisatoren in Zukunft intensiver Medien wie Facebook und Instagram beackern, um die jüngere Generation dort abzuholen, wo sie sich nun mal heutzutage informiert.
Edith Koschwitz vom veranstaltenden Netzwerk Kultur Reutlingen ging am Sonntagnachmittag davon aus, dass eine ähnliche Besucherzahl wie vor zwei Jahren erreicht wurde. Damals wurden knapp 7 000 Karten verkauft, hinzu kamen Hunderte weitere Kulturnacht-Flaneure. Koschwitz sprach von der bisher »besten Kulturnacht«. So lebendig müsse die kleine Großstadt Reutlingen häufiger sein, hätten insbesondere jüngere Besucher rückgemeldet. (GEA)