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Bühnenkunst mit Wagner: John von Düffels Fassung der »Buddenbrooks« in Stuttgart

Dass die großen Romane von Thomas Mann in ihrer epischen Breite hohes dramatisches Potenzial beinhalten, zeigt sich nicht zuletzt in den berühmt gewordenen Verfilmungen. Will man sie als Stück aufführen, muss man sie bearbeiten. Was der designierte Intendant des E.T.A.-Hoffmann-Theaters Bamberg, John von Düffel, mit den »Buddenbrooks« unternahm.

Tim Bülow als Christian Buddenbrook und Christiane Roßbach als Konsulin Elisabeth Buddenbrook in der Stuttgarter Inszenierung.
Tim Bülow als Christian Buddenbrook und Christiane Roßbach als Konsulin Elisabeth Buddenbrook in der Stuttgarter Inszenierung. Foto: Thomas Aurin
Tim Bülow als Christian Buddenbrook und Christiane Roßbach als Konsulin Elisabeth Buddenbrook in der Stuttgarter Inszenierung.
Foto: Thomas Aurin

STUTTGART. Möchte man Thomas Manns Romane auf der Bühne zeigen, bedarf es der dramatisierenden Bearbeitung. Aus Anlass von Manns 150. Geburtstag zeigt das Schauspiel Stuttgart nun John von Düffels Version der »Buddenbrooks«.

Klar, dass dieser »Verfall einer Familie« (so Manns Untertitel) über drei Generationen in einem Bühnenstück für einen Abend fokussiert werden muss. Düffel löst dies, indem er Hanno, den künstlerisch veranlagten, hochsensiblen, doch eben nicht kaufmännisch geschäftstüchtigen Sohn von Thomas Buddenbrook, immer wieder ins Spielgeschehen einflicht und die Geschichte in der Rückblende des letzten Generationen-Vertreters Gestalt annehmen lässt. Und dabei zeigt, was verkrustete Wertvorstellungen oder das Primat des Materiellen an Konflikten und Konfrontationen bergen.

Gegenwartsnah erzählt

Mit Amélie Niermeyer wurde hierfür eine Regisseurin gefunden, welche die Charaktere der handelnden Personen scharfkantig nachzeichnet. Wie schon in ihrer durchdachten Inszenierung von Donizettis nur selten aufgeführter »Favoritin« an der Bayerischen Staatsoper erzählt die Professorin für Schauspiel und Regie am Salzburger Mozarteum diese Geschichte sehr gegenwartsnah, ohne dabei aufgepfropften Modernismen anheimzufallen. Dazu schaffen Kostümbildnerin Stefanie Seitz und Bühnenbildner Christian Schmidt die stimmige Atmosphäre einer Unternehmer-Familie vom deutschen »Wirtschaftswunder« nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1970er-Jahre. Also noch nahe genug an den letzten Lebensjahren von Thomas Mann zu Beginn des Spielgeschehens wie an unserer Betrachterzeit von dessen Ende.

Geradezu rasiermesserscharf zeigt sie, wie Thomas Buddenbrook als Erstgeborener glaubt, die Rationalität seines kühl kalkulierenden, doch letztlich zurückhaltenden Kaufmanns-Vater in Härte gegenüber seinen Geschwistern, aber auch zu sich selbst, übersteigern zu müssen. Niermeyer legt diese selbstzerstörerische Psychodynamik in bitterer Konsequenz bis zum Tod des Firmenerbes offen. Was Rainer Galke erschütternd verkörpert. Wie überhaupt alle darstellerischen Leistungen in dieser Neuinszenierung hochklassig sind.

Ambivalente Figuren

Von Anke Schubert beispielsweise, die den alten Konsul Buddenbrook als Hosenrolle herb, doch durchsetzt mit weichen Zügen spielt. Was zugleich die Ambivalenzen auf den Punkt bringt, die sich in Manns Roman- und Düffels Bühnenfiguren nicht zuletzt in deren Androgynität ausdrückt. So wird nicht nur die verständnisvolle menschliche Regung deutlich, die der Patriarch gegenüber seiner Tochter Tony zeigt, als er erkennen muss, sie mit einem kaltherzigen Betrüger verheiratet zu haben, dessen lieblose Geldgier von Sven Prietz genauso schonungslos ausgespielt wird wie der sadistische Zynismus des Bankiers Kesselmeyer von Reinhard Mahlberg. Genauso wird klar: So wie sich das Kaufmanns-Gen bei Thomas manifestierte, fand die künstlerisch-weiche Anlage ihre Ausprägung bei dessen Bruder Christian (den Tim Bülow grandios zuspitzt; im Bruderzwist mit Thomas stieben die Funken) und Enkel Hanno. Felix Jordan deklamiert ihn eindringlich und realisiert zudem glaubhaft die ihm übertragenen Klavierpassagen.

Die beherrschte, vornehme Zurückhaltung der Patriarchin (durchweg überzeugend: die souveräne Christiane Roßbach) wiederum gehört zum »Genpool« von Tochter Tony. Deren Entwicklung von der gehorsamen Tochter aus gutem Hause zur letztlich dominanten, verquaste Familientraditionen beherzt hinter sich lassenden Frau Celina Rongen mit dem ihr eigenen Aplomb großartig über die Bühne bringt.

Affinität zur Musik

Zeitlebens hatte Thomas Mann eine große Affinität zur Musik. Auch die »Buddenbrooks« sind voller Anspielungen. Wenn zum Beispiel Hanno vom »befreiten Hinsinken in H-Dur« schwärmt. Wofür es zum Mann’schen Kosmos nur ein einziges passendes Stück geben kann: den Liebestod aus Wagners »Tristan und Isolde«. Was Jacob Suske in seiner Bühnenmusik genauso richtig erkannte, wie er auch für die geigen- und schauspielende Gerda (exzellent: Silvia Schwinger) oder den rüpelhaften Permaneder (originell: Sebastian Röhrle) klingende Charakteristika fand. (GEA)

Nächste Aufführungen am 15., 23., 25. und 29. Mai.