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Ausverkauftes Heimspiel für David Orlowsky im Tübinger Sudhaus

Klezmer hat er hinter sich gelassen: Der Klarinettist David Orlowsky geht mit neuem Trio neue Wege. Sein Album »Petrichor« ist Düften gewidmet.

David Orlowsky gab ein Heimspiel im Tübinger Sudhaus.
David Orlowsky gab ein Heimspiel im Tübinger Sudhaus. Foto: Andreas Fink
David Orlowsky gab ein Heimspiel im Tübinger Sudhaus.
Foto: Andreas Fink

TÜBINGEN. Der Duft von Regen, der nach langer Trockenheit auf die Erde fällt, ist unverwechselbar. Obwohl er einen Namen hat - Petrichor -, ist er nicht in Worten zu beschreiben. Der Klarinettist David Orlowsky hat ihn in Töne gefasst und ein ganzes Album nach ihm benannt. »Düfte färben, was wir erleben, mit ihnen können wir auf Erinnerungsreise gehen«, begrüßt Orlowsky sein Publikum im Sudhaus. Das Heimspiel des in Tübingen geborenen und aufgewachsenen Musikers, der inzwischen in Berlin lebt, ist ausverkauft - und ein wahres Fest für die Sinne.

Als Jungstar der Klezmer-Szene groß geworden, hat sich Orlowsky in den zurückliegenden fünf, sechs Jahren stilistisch freigeschwommen. 2019 hat er nach 20 Jahren sein Trio mit Florian Dohrmann (Kontrabass) und Jens-Uwe Popp (Gitarre) aufgelöst und geht mit Daniel Stelter (Gitarre) und Tommy Baldu (Schlagzeug) neue Wege. Die kompositorische Handschrift des neuen Trios ist individuell, modern und cool, sie vereint verschiedenste stilistische Einflüsse aus Jazz, Rock und Weltmusik. Verträumte Pop-Balladen stehen neben Ethno-Variationen und pulsierenden, hypnotische Rhythmen, die fast schon an Elektro-Sounds im Club erinnern.

Rauschhafte Welle

Die Jahrzehnte des musikalischen Erwachsenwerdens lassen sich trotzdem nicht wegleugnen: Eine gute Portion Klezmer ist noch da. Wie Orlowsky die Klarinette aufheulen, jauchzen, kreischen, krähen und jubeln lässt, ist ein großes Vergnügen und manchmal eine einzige rauschhafte Welle, die er auf das Publikum zurollen lässt, bis sie lustvoll bricht. Er beherrscht aber auch die sanften, leisen Töne, die klassische Spielart, die in den poetischeren, introvertierteren Stücken zum Tragen kommt. Dann darf die Klarinette in tiefen Lagen samtig singen und in der Höhe golden aufleuchten. Ein Markenzeichen des Trios ist definitiv auch Tommy Baldus extravagantes Spiel: Sticks oder Schlägel benutzt er selten, meistens streichelt und klopft er mit den Händen auf den Fellen und Becken seines Drumsets.

Nicht alle Düfte, die das Trio vertont, sind klassisch schön - aber die Assoziationen, die sie wecken, und die Geschichten, die sie erzählen, sind es. »Sunscreen« ist dem Geruch von Sonnencreme gewidmet, »ich liebe ihn«, sagt der Klarinettist, weil er an Sommer und Wärme denken lässt. Das coole, beatlastige »Gasoline« spielt an der Tankstelle - ein Ort, der an Freiheit, Abenteuer, Aufbruch und Gespräche mitten in der Nacht erinnert. Der vielleicht magischste Moment des Abends: Orlowsky verlässt die Bühne, geht langsam spielend durch den Raum - und füllt den Saal mit einem ebenso zarten wie präsenten Pianissimo.

Orientalische Melodiebögen

Wie virtuos nicht nur jeder einzelne der drei Musiker sein Instrument beherrscht, sondern auch, wie perfekt, fast schon blind Orlowsky, Baldu und Stelter miteinander harmonieren und kommunizieren, zeigt sich nicht erst, aber besonders in der Zugabe. Eben ist das Trio noch in »Marrakesh«, wo sich die Klarinette in orientalischen Melodiebögen selbst feiert - um dann auf elegantem Wege in eine völlig andere Welt hinüberzugleiten: »Hejo, spann den Wagen an« hat man so nicht gehört. Meisterhaft. (GEA)