KONSTANZ. Da steht sie, grell geschminkt, mit bunten Haaren, und singt von Abtreibung: »Vor dem ersten Kinderschrein / muss ich mich erst mal selbst befrein«. Ein Stück, das auch heute noch manch ein Gemüt erregen könnte, gewiss. So war sie, die Nina, ehe sie auf der Jurorencouch Platz nahm oder mit Otto Waalkes Märchenfilme drehte: eine ziemlich wilde Nummer, die die deutsche Musikszene gehörig aufmischte.
Noch vor Nina Hagens 70. Geburtstag feierte am Theater Konstanz das Stück »Nina Mother of Punk« Premiere. Eine Biografie erzählen möchte es nicht. Hagens Jugend in der DDR wird kurz gestreift. »Ich soll Schlagersternchen werden«, mault sie. »Ich soll auf Betriebsfeiern singen!« Und sie singt schließlich: »Ich hab‘ den Farbfilm vergessen.«
Vorbild: Poly Styrene
Regisseur Wulf Twiehaus entwickelte das Stück gemeinsam mit Isabell Twiehaus. Beide brachten zuvor schon in Konstanz eine Johnny Cash-Hommage auf die Bühne. Mit Nina Hagen rufen sie den Geist der Punk-Bewegung auf und machen ihn zu einer Sache der Mädchen. Die Britin Poly Styrene, Sängerin der Punk-Band X-Ray Spex, war Nina Hagens großes Vorbild. Eine der drei Frauen, die in Konstanz Nina Hagen spielen, trägt ein T-Shirt, darauf steht: »Girls invented Punk not England«.
1978 erschien das erste Album der Nina Hagen Band. Fast alle Songs des Debüts kommen auf die Bühne - »Naturträne«, »Aufm Bahnhof Zoo«, »TV Glotzer«, der eigentlich von The Tubes stammt, die diesen Song schon im franz.K sangen. Katrin Hieronimus schuf die Kostüme und richtete die Bühne als Proberaum ein – schwarze Wände, die sich nach und nach mit Schriftzügen, Parolen, Graffiti bedecken. Dort liest man irgendwann auch Namen wie die der Antilopen Gang und der Punk-Band Minor Threat, nebst einer Absage an die AfD. Hebt sich die schwarze Rückwand dieses Proberaums, taucht eine Band auf - und dann geht die Post ab.
Wolf-Biermann-Lied
Nina Hagen wird gespielt von Ingo Biermann, Katrin Huke, Svea Kirschmeier, Anne Rohde. Sie zucken in Punk-Kostümen über die Bühne, sie tauschen die Perücken. Die Begeisterung, mit der die vier Darsteller des Konstanzer Ensembles sich in diese Rolle werfen, macht den Abend zum Erlebnis. Sie kommen ihrem Vorbild sehr nahe, kennen jeden Kiekser, Grunzer, Aufschrei, jede Koloratur, jede Nuance von Nina Hagens Gesang. Sie spielen renitent, bunt, schrill und laut und legen bemerkenswerte Energie frei. Aber eine der Ninas singt auch zur akustischen Gitarre - ein Lied von Wolf Biermann: »Du lass dich nicht verhärten / in dieser harten Zeit.« Das Theater schlägt einen Bogen in die Gegenwart und entdeckt den Punk für sie aufs Neue. Als wütende Forderung nach einer Utopie. (GEA)