LUDWIGSBURG. Es war wohl eine Befreiung. So hat Eisbrecher-Frontmann Alexander »Alexx« Wesselsky die Trennung von Bandmitgründer Jochen »Noel Pix« Seibert jedenfalls im Fachmagazin »Metal Hammer« geschildert. Man war sich nicht mehr einig, wohin es gehen sollte – schlussendlich ging Noel Pix. Das Befreite äußert sich am Freitagabend in der Ludwigsburger MHP-Arena auch darin, dass bereits vor dem eigentlichen Konzert ein entspannter Wesselsky auf die Bühne tritt, in Shorts und Kapuzenpulli, um die Fans in der gut besuchten Halle zu begrüßen. Er beschwört das Teamwork samt Bühnenhelfern, Saalordnern, Sanitäter, schwört die Menge auf die Vorgruppe Heldmaschine ein.
Man wird die Unterschiede später im Bandsound merken. Mit dem Abgang von Noel Pix, der nicht nur Gitarrist der Band war, sondern auch ihr Produzent, sind die elektronischen Teile sparsamer geworden. Der Sound ist näher an Bands der Neuen Deutschen Härte gerückt wie Heldmaschine oder Schattenmann, mit denen Wesselsky & Co. mit Vorliebe ihr Vorprogramm bestücken. Schattenmann-Sänger Frank Herzig ist als Tonmann mit auf Tour, in einem Song tritt er als finsterer Duettpartner Wesselskys auf.
Halb Mensch, halb Roboter
Das Abgründige ist eh die Mission des Abends, gerne skurril inszeniert. Die Heldmaschine-Musiker fahren elektrisch auf die dunkle Bühne, Brillen mit Lichtbändern über den Augen, Hybride aus Mensch und Roboter. Mit »Eiszeit«, Titelsong des aktuellen Albums, entrollen sie eine Welt emotionaler Kälte. Danach wird Sänger René Anlauff augenrollend zum Moritaten-Erzähler. Der Serienmörder Karl Denke spukt durch die Halle - der Song entstand für einen Film über den Psychopathen. In »Schachmatt« bringt Anlauff das Gefühl von Frust auf den Punkt, verpackt in finsteren Sprechgesang. Dazwischen hymnische Refrains voll launiger Ironie: Hinter Anlauffs Rumpelstilzchen-Wüten lauert der verzweifelte Frohsinn der Neuen Deutschen Welle.
Wesselsky ist dagegen Charmeur durch und durch, sich seiner erotischen Wirkung selbst auf das männliche Publikum wohl bewusst. »Ausziehn! Ausziehn!«, schallt es aus dem Parkett. »Aber, aber, es ist doch noch zu früh!«, grinst der Sänger.
Ansonsten ist trotz Trennung von Noel Pix noch alles am Platz. Wesselsky gibt in Uniformjacke den Kapitän, schleudert der Menge den Refrain »Himmel, Arsch und Zwirn!« entgegen oder das fatalistische »Es kommt, wie es kommt, so oder so!« Mit solchen Mantras hält man die Welt schon besser aus.
Politisches Album
Das Filmmusikartige ist gewichen, der Sound gitarrenlastiger geworden. Der neue Gitarrist Marc »Micki« Richter kriegt gleich mal ein großes Solo, Drummer Achim Färber ebenfalls. Es gibt gitarrenbretternde Seemanns-Sehnsucht (»Auf Sturmfahrt«). Es gibt die Beschwörung der Dämonen im eigenen Inneren mit Songs des letzten Albums »Liebe macht Monster«.
Und Politisches vom neuen Album: Gleich zum Einstand die sarkastische Lage-Analyse »Everything is wunderbar«, später den Anti-Ausgrenzungs-Song: »Wir bauen ein neues Land – aber nicht für dich!« Wesselsky schlüpft gern in die Rolle des Bösen, verstanden wird die Botschaft trotzdem. Der Titel »Kaltfront« des neuen Albums ist auch aufs gesellschaftliche Klima gemünzt. Mit der Musik von Bands wie Eisbrecher oder Heldmaschine im Ohr ist man gewappnet, ihr entgegenzutreten. (GEA)