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AnnenMayKantereit: »Wir gucken nicht viel auf Klicks«

Christopher Annen von AnnenMayKantereit über Klimaproteste und Künstliche Intelligenz.

Henning May, Christopher Annen und Severin Kantereit (von links) sind mit Orchester auf Tour.
Henning May, Christopher Annen und Severin Kantereit (von links) sind mit Orchester auf Tour. Foto: nicht angegeben
Henning May, Christopher Annen und Severin Kantereit (von links) sind mit Orchester auf Tour.
Foto: nicht angegeben

KÖLN. Die Kölner Band AnnenMayKantereit versteht es, gefühlvolle Songs zu schreiben über alle Fragen, die junge Menschen wirklich umtreiben. Ihre Konzerte sind regelmäßig ausverkauft und ihre Social-Media-Follower gehen mittlerweile in die Milliarden. Auf ihrem neuen Album »Es ist Abend und wir sitzen bei mir« sind 15 traurig-schöne Songs versammelt. Mit Gitarrist Christopher Annen, 32, sprachen wir über Klimaproteste und KI-generierte Songs.Im Januar spielten Sie ein Open-Air-Konzert an der Mahnwache Lützerath, um die Klima-Aktivisten zu unterstützen. Wie haben Sie die Proteste gegen den Abbau von Braunkohle und den Abriss des Dorfes erlebt?

Annen: Bei unserem Auftritt waren tausende Leute. Es war sehr beeindruckend zu sehen, wie viele Menschen der Klimaschutz mobilisieren kann.

Wie denken Sie über die Aktionen der Klimaaktivisten, die zu immer radikaleren Protestmitteln greifen?

Annen: Gewalt lehne ich natürlich immer ab, aber eine Form von zivilem Ungehorsam kann ich irgendwo nachvollziehen. Man weiß mittlerweile alles, aber ich verstehe nicht, wieso viele Leute immer noch nicht begriffen haben, wie radikal der Klimawandel unsere Welt verändern wird. Er schränkt jetzt schon viele ein, und in 50 Jahren wird das Milliarden Menschen betreffen. Das, was auf uns zukommt, ist radikal. Dagegen zu protestieren, ohne Menschen zu gefährden, kann ich verstehen.

Sie haben einen Song für Lützerath geschrieben, "Ode an die Aktivisti". Darin heißt es: "Die Kohle unter diesem Dorf wird nicht gebraucht und unabhängigen Gutachten wird nicht geglaubt. Und wär die Regierung klug genug, ums einzusehen, müssten die Aktivisten keine Räumung überstehen."

Annen: Henning hat den Text einen Tag vorher aus dem Ärmel geschüttelt. Er hat mir nur gesagt, welche Akkorde ich spielen soll, und dann los.

Bringt eine Form des Protests wie in Lüzerath wirklich etwas?

Annen: Auf jeden Fall. Ich bin mir nicht sicher, ob da viele Demonstrierende angereist sind mit dem Anspruch, dass Lüzerath nicht abgebaggert wird. Aber wenn der Anspruch gewesen ist, das Thema bei Leuten noch mehr auf den Zettel zu packen, dann war das bestimmt nicht unerfolgreich. In meinem Freundeskreis wurde auf jeden Fall sehr viel darüber gesprochen. Viele haben sich hingesetzt und nachgelesen, worum es da eigentlich geht.

In der Ballade »Als ich ein Kind war« wird wehmütig die Zeit vor dem Internet besungen. Nun sind Sie aber klassische Kinder des Internetzeitalters mit fast einer Milliarde Youtube-Clicks und Millionen von Tiktok- und Instagram-Followern. Ist das Internet für Sie ein technisches Tool oder eine neue Form der Zivilisation?

Annen: Beides. Man kann sich Kultur ohne das Internet kaum noch vorstellen. Wir, die Gen Y, sind die letzte Generation, die noch ohne Smartphone aufgewachsen ist. Die Gen Z wächst komplett im Netz auf. Ich sage aber nicht nostalgisch, dass man früher noch bei den Nachbarn geklingelt hat oder es noch das Familientelefon gab. Aber dafür gibt es jetzt andere schöne Dinge.

Macht Ihnen als kreativer Künstler die Vorstellung Angst, dass irgendwann keine Menschen mehr, sondern nur noch KIs die Songs schreiben?

Annen: Ich glaube, so gut wie menschliche Songschreiber sind KIs noch nicht. Aber vielleicht wandelt sich der Job eines Musikers ja weiter, oder es drängen manche Berufe auf den Musikmarkt, die sich das vorher überhaupt nicht vorstellen konnten. Programmierer zum Beispiel. Angst habe ich davor nicht, ich will aber auch nicht naiv wirken. Es wird eh passieren, und man muss dann gucken, an welchen Stellen man sich anpassen muss. Oder man hat da keine Lust drauf und lässt es einfach. Mittlerweile muss man auf fünf verschiedenen Social-Media-Plattformen aktiv sein mit jeweils eigenem Content. Das war vor ein paar Jahren noch nicht der Fall. Ich bin davon kein großer Freund, aber wenn man es als Band gar nicht macht, ist es schwierig.

Oscar-Preisträger Sean Penn bezeichnet AnnenMayKantereit in seinem Buch »Bob Honey Who Just Do Stuff« als »great German rock band«. Ist er im Netz auf Sie gestoßen?

Annen: Penn hat unseren Song »Some Times I Like To Lie« auf Youtube gehört und ihn in seinem Buch zitiert. Den Spruch »great German rock band« hat er in einer Talkshow, wo er zu Gast war, fallen lassen. Das war sogar dem Kölner Stadtanzeiger eine Meldung wert.

Ihre mit Giant Rooks eingespielte Version von Suzanne Vegas Klassiker »Tom’s Diner« wurde in den USA mit Gold ausgezeichnet. Sie kommt auf über 91 Millionen Klicks bei Youtube. Voriges Jahr belegte das Cover Platz 3 der »Viral 50 – Global«-Charts bei Spotify. Was machen Sie bei 100 Millionen Klicks?

Annen: Uns einfach nur freuen. Wir gucken nicht so viel auf Goldene Schallplatten oder Klicks. Ich kenne unsere aktuellen Zahlen nur, weil ich sie in Interviews gesagt bekomme. Ansonsten gucke ich sie mir gar nicht so oft an. Ich finde es aber total abgefahren, welche Wendung gerade dieser Song genommen hat. »Tom’s Diner« war schon drei Jahre online, aber erst als wir ihn auf Tiktok hochgeladen haben, ist er komplett durch die Decke gegangen.

Hat Susanne Vega sich schon dafür bedankt?

Annen: Tatsächlich hat sie uns geschrieben, dass sie unsere Version total cool findet. Sie hat dazu sogar ein Video gemacht. Das war für uns das größte Lob. Es bedeutet mir mehr als 100 Millionen Klicks auf Youtube.

Was kann man von Ihrer neuen Tournee erwarten?

Annen: Es ist unsere erste große Hallentour mit Orchester. Vier Bläser und vier Streicher:innen. Mit einem frischen Album auf Tour zu gehen, ist für uns immer etwas Besonderes. (GEA)

Live: 12.8., 18.30 Uhr, Cannstatter Wasen, Stuttgart

 

AnnenMayKantereit: »Es ist Abend und wir sitzen bei mir« (LP/CD/Digital/Bundle, AnnenMayKantereit Records/Universal Music)