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Aktuell Literatur

Anna Katharina Hahn und Kammerchor Reutlingen in der Stadtbibliothek

Im Gespräch mit Wolfgang Niess stellte Anna Katharina Hahn in der Reutlinger Stadtbibliothek ihren aktuellen Roman »Der Chor« vor. Einen solchen gab's dabei auch leibhaftig zu hören.

Hält sich selbst für unmusikalisch: Anna Katharina Hahn beim Literatur-Talk in der Stadtbibliothek.
Hält sich selbst für unmusikalisch: Anna Katharina Hahn beim Literatur-Talk in der Stadtbibliothek. Foto: Armin Knauer
Hält sich selbst für unmusikalisch: Anna Katharina Hahn beim Literatur-Talk in der Stadtbibliothek.
Foto: Armin Knauer

REUTLINGEN. »Der Chor« heißt der neue Roman von Anna Katharina Hahn - und ein Chor eröffnete den Auftritt der Stuttgarter Autorin am Freitagabend in der Reihe »Literatur im Gespräch«. Feierliche Barock-Klänge füllen die ausverkaufte Stadtbibliothek mit Claudio Monteverdis »O stellae coruscantes«. Der Kammerchor Reutlingen schafft mit seinem Leiter Marcel Martínez Bonifacio Klänge voll Feinheit und Transparenz.

Der Chor im Buch bewege auf anderem Level, greift Moderator Wolfgang Niess den Faden auf. Da werde auch mal »Marmor, Stein und Eisen bricht« geschmettert. Die Autorin wiederum, Blousonjacke, kniehohe Stiefel und das bei ihr übliche Flatterhaar, räumt ein, völlig unmusikalisch zu sein: »Ich schmettere nur unter der Dusche und in der Küche.« Auf einen Chor als Thema sei sie in der Coronazeit gekommen, als sie mitbekam, welche Schmerzen es Chorsängerinnen in ihrem Freundeskreis verursachte, nicht mehr proben zu können.

Wolfgang Niess befragt Autorin Anna Katharina Hahn mit Humor und Einfühlung.
Wolfgang Niess befragt Autorin Anna Katharina Hahn mit Humor und Einfühlung. Foto: Armin Knauer
Wolfgang Niess befragt Autorin Anna Katharina Hahn mit Humor und Einfühlung.
Foto: Armin Knauer

Einen Stuttgarter Frauenchor hat Hahn ersonnen, der ausschließlich Lieblingslieder seiner Mitglieder singt. Ein Mikrokosmos, dessen Beziehungsgeflecht die Autorin ins Schwanken bringt - nicht zuletzt, indem eine ältere Mitsängerin zum Pflegefall wird. Detailversessen (»Ich hab's gern exakt!«) porträtiert sie die Stuttgarter Bildungsbürgerschicht - und führt vor, wie die Damen reagieren, wenn plötzlich jemand aus dem Prekariat in ihre Reihen gerät.

Zerwürfnis zweier Freundinnen

Niess moderiert das mit sympathischer Verschmitztheit, räumt ein, dass er hier und da auch mal was nicht so recht verstanden hat. Etwa den Grund für das Zerwürfnis der Hauptfigur Alice mit ihrer extrovertierten Busenfreundin Marie. Letztlich nur eine Lappalie, wie Niess meint, oder doch ein großes Ding, wie Hahn beharrt? Männerblick, Frauenblick, Schmunzeln im Publikum.

Solches gibt es öfter, obwohl der Roman keine Komödie ist. Im Gespräch beleuchten Hahn und Niess die zahlreichen Charaktere. Wobei Hahn es freut, dass Niess besondere Sympathie für die Unterschichts-Außenseiterin bekundet. In endlosen Skizzen nähert sie sich ihren Figuren. Szenen, von denen im fertigen Roman oft nichts oder wenig bleibt. »Aber das ist trotzdem irgendwie alles da«, versichert sie. Und gibt ihren Personen und Szenen Tiefe und Realität.

Der Kammerchor Reutlingen umrahmt die Buchvorstellung in der Stadtbibliothek.
Der Kammerchor Reutlingen umrahmt die Buchvorstellung in der Stadtbibliothek. Foto: Armin Knauer
Der Kammerchor Reutlingen umrahmt die Buchvorstellung in der Stadtbibliothek.
Foto: Armin Knauer

Zwischendurch meldet sich der Kammerchor mit Mendelssohns »Abschied vom Walde«, am Ende mit einer Mörike-Vertonung von Hugo Distler (»Ein Stündlein wohl vor Tag«). Alles sehr edel ausgebreitet, ein bisschen mehr Kante hier und da hätte nicht geschadet. Egal, die Kombination von Chor-Roman und Chor-Musik war sehr charmant. (GEA)