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Aktuell Tanztheater

Andere und sich selbst erkennen

REUTLINGEN. »Wenn ich tanze, fühle ich mich frei und glücklich«, sagt einer der Tänzer im Tonschnipsel aus dem Off. Ein Kollege mit Down-Syndrom räsoniert darüber, was es bedeutet, ein normaler Mensch und doch etwas anders zu sein: ein »Mutant wie die X-Men, ein Superheld, ein Zauberer« mit eigenen Kräften.

Die beiden gehören zur integrativen Wiener »Ich bin O.K. Dance Company«, die drei getanzte Geschichten über Freundschaft mit zu »Kultur vom Rande« gebracht hat und im franz.K vor vollem Haus auftritt. Der Wiener Akzent der Akteure ist nicht zu überhören, ihre Lebensfreude ansteckend.

»Gehen« mit Felix Röper und Attila Zanin handelt davon, wie zwei Freunde miteinander sprechen. Im Dialog, der ihre Bewegungsperformance begleitet, erkunden sie die Lebenswelt des Gegenübers, fühlen sich ein, schärfen ihr Bild von sich selbst. Im Tanz findet das eine von Empathie und Neugier getragene Entsprechung. Gewitzt gehen die beiden miteinander um, loten eigene und die Grenzen des anderen aus, werden dabei aber nie verletzend.

Viel läuft dabei über ein Spiel der gegenseitigen Imitation. Mal ist einer dem andern Vorbild, mal ist er sein Schatten. Zwischen Hebefiguren, Drehungen um die eigene Achse und akrobatischen Sprüngen fällt der beruhigende Satz »Ich hab’ dich«, begleitet von einer Auffangbewegung.

Zwischen die Freunde, so wird im Tanz deutlich, passt kein Blatt. Die Freude und Erleichterung des einen ist die Freude und Erleichterung des anderen. Spielerisch angeeignete Tanzstile schließen Experimentelles, den Robotertanz und den Moonwalk ein. Milli Bitterli ist eine mitreißende Choreografie gelungen. Der Beifall im Saal ist überwältigend.

»Doppel-Gängerin« in der Choreografie von Nicole Berndt-Caccivio zeigt eine andere Facette von Freundschaft. Auf der Bühne entwerfen Clara Horvath, Johanna Ortmayr, Anna Prokopová und Hana Zanin ohne Worte ein Spiegelbild fließender Bewegungen. Da werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede abgetastet, geht es um Abhängigkeiten, Küsschen hier, Küsschen da und um Nähe und Distanz.

Die Haare schön

Während sich zwei der Tänzerinnen am Bühnenrand gegenseitig die Haare machen, ergründen die anderen im Dämmerlicht ihre Seelenverwandtschaft. Expressiv ist dieser Tanz, fordernd und kompromisslos. Zugleich zeigt er, dass die jungen Frauen ohne beste Freundin ziemlich aufgeschmissen wären. Jubel im Saal auch nach dieser packend-dynamischen, hochvirtuosen Körperzwiesprache.

»Alle für einen, einer für alle« – hier haben Hana und Attila Zanin die Choreografie übernommen – zeigt eine Männerfreundschaft zum Pferdestehlen. Sei’s drum, wenn der Fußball mal nicht das Tor trifft und eine Scheibe zu Bruch geht. Missgeschicke schweißen Kirin Espana, Simon Couvreur und Raphael Kadrnoska genauso zusammen wie überwundene Ängste und erzielte Erfolge.

Dumm nur, wenn in der scheinbar durch nichts zu gefährdenden Verbindung von echten Kerlen die Liebe dazwischenfunkt. Da helfen weder heiße Hip-Hop-Beats noch Mister Obercool James Bond weiter, den das Trio zuvor mit Verve imitiert hat, inklusive spontan aus dem Publikum geholtem Bondgirl. Das Leben geht dennoch weiter.

Die begeisterten Zuschauer folgen am Ende der charmanten Aufforderung der Dance Company, mit auf die Bühne zu kommen und dort ausgelassen mitzutanzen. Mit ihren drei Stücken über Freundschaft sind die Wiener bereits in Spanien, Tschechien und bei einem Dresdener Tanzfestival erfolgreich aufgetreten. (GEA)