TÜBINGEN. 16 Texte von Intendant Peer Mia Ripberger sind am Tübinger Zimmertheater seit dem Jahr 2018 auf die Bühne gekommen; 15. Mal hat der Autor selbst am Haus inszeniert. »Die Sparmaßnahme« war nun seine letzte Premiere am »Institut für theatrale Zukunftsforschung im Zimmertheater Tübingen«, wie das Zentrum für Neue Dramatik auch heißt. Wer gedacht hat, dass sich Ripberger, der im Zuge der städtischen Sparmaßnahmen, die das Zimmertheater massiv treffen, seine Kündigung eingereicht hat, mit einem Paukenschlag verabschieden würde, hat Recht behalten.
Zwar beginnt das Stück recht konventionell als Komödie. Ein Kammerspiel auf engstem Raum. Drei Menschen haben eine Fahrstuhlkabine betreten und wollen nach oben. Sie kennen einander nicht, ihr Blick geht gelangweilt an die Decke oder in den Spiegel. Wird ja gleich vorbei sein, die gemeinsame Fahrt. Dumm nur, dass der Fahrstuhl stecken bleibt und man sich doch ins Benehmen setzen muss. Und wie sich zeigt, gibt es Verbindungen zwischen den Dreien.
Es dauert länger
Erwin, Geschäftsführer einer im Gebäude ansässigen Firma, muss einen Termin absagen, weil die Fahrstuhl-Störung wohl doch länger dauert. Er erwartet einen wichtigen Anruf von seinem Arzt. Maja hat ihren Job verloren und nun ein Bewerbungsgespräch. Auch das muss warten. Für Esther gälte es eigentlich, ihr Kind von der Kita abzuholen - wie so oft in letzter Zeit fällt die Betreuung aus. Sie alle sind betroffen von Sparmaßnahmen und kommen recht unterschiedlich mit der Enge der Fahrstuhlkabine zurecht.
Julian Lehr (Erwin), Johanna Engel (Maja) und Alina Valerie Weinert (Esther) spielen die unfreiwillige Begegnung, die länger dauert, als den Betroffenen lieb ist, mit situativer Komik und an den Figuren sowie am Gebäude (nebst dem schon länger nicht mehr gewarteten Fahrstuhl) festgemachter Gesellschaftskritik. Da werden Grenzen höflicher Neugier überschritten, wird gehörig Dampf abgelassen. Der Frust muss schließlich irgendwo raus. Und da von außen keine schnelle Besserung der Situation zu erwarten ist, hält man sich eben an die gerade vor einem Stehenden. Das hat Witz, Tempo und Dynamik und spielt sich tatsächlich auf einer Fläche von nicht viel mehr als zwei Quadratmetern ab (Bühne: Raissa Kankelfitz).
Schlimm? Schlimmer!
Dann aber fangen auch die Figuren im Stück, das Ripberger zusammen mit der Zimmertheater-Dramaturgin Corinna Huber verfasst hat, plötzlich das Theaterspielen an. »Paradoxe Intervention« nennt Maja das, die als Autorin des Stücks im Stück auftritt und für alle Texthefte bereithält. »Der Sparzwang« von Maja Kramer nennt sich das Werk, das nun in verteilten Rollen vorgetragen wird. Diese Rollen sind »Kultur-Daggi«, »Sozial-Gundel« und »Ober-Boris«. Die Zeit ist »heute«, der Ort das »Rathaus, Ober-Boris' Büro«. Nichts im Stück entspreche der Wahrheit, »gelogen ist aber auch nichts«. Und so nimmt das Drama im Drama, eine Farce in puncto Kommunikation und Sparkurs-Ergebnis, seinen Lauf. Da wird Ober-Boris mit Anerkennung dafür überschüttet, wie gut er rechnen kann. Das sei »so toll« (klingt nach Donald-Trump-Sprech). Ober-Boris bleibt im Wesentlichen unwidersprochen in seinem Mantra »Wir können uns das nicht mehr leisten«. Wobei es ihm mehr um Zahlen als um Inhalte zu gehen scheint. Stehe es denn so schlimm, fragt Sozial-Gundel. »Schlimmer«, antwortet Ober-Boris.
Im Stück im Stück hat dann auch noch Sozial-Gundel ein Stück, das alle drei spielen. Titel: »Die Einsparung«. Darin kommen nun »der/die Intendant*in«, »der/die Verwaltungsdirektor*in«, »der/die Dramaturg*in« zu Wort. Frust bricht sich Bahn. Man werde Leute entlassen müssen. Nur die schlechten. Doch schlechte habe man nicht. Was geschieht mit den Stücken? Die könne man zurücklegen für »eventuell bessere Zeiten«. Der Plan macht die Runde, »dieses kleingeistige Tübingen« zu verlassen. Bei der Sichtung der Stücke fällt den Dreien ein Werk auf, das »absolut nur für Tübingen« ist, »das geht wirklich nirgendwo sonst«. Und so spielen die drei auch dieses Stück »des/der Dramaturg*in«. Titel: »Die Weggesparten«. Man ist wieder beim Stück mit dem Fahrstuhl gelandet. Nur, dass jetzt die zwei Spielerinnen und der Spieler sich echauffieren, was sie da vorgesetzt bekommen. »Immer diese Neue Dramatik.« »Warum nicht was Anständiges. Goethe oder Schiller.«
Verzweiflung an der Situation
Das Ensemble widmet sich einer von ihm selbst überarbeiteten Version des Stücks - und verzweifelt an sich selbst, an der Situation. »Vielleicht sollte ich einfach aufhören zu spielen«, heißt es da. Am Ende herrscht Leere auf der Bühne. Auch die von Fahrstuhlmusik inspirierte Klanggrundierung von Justus Wilcken und Konstantin Dupelius ist verklungen. Dafür donnert Applaus im Zimmertheater-Gewölbe. (GEA)