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Alte Musik trifft Neue Kunst: Philharmonia Chor im Reutlinger Kunstverein

Der Philharmonia Chor Reutlingen und Musiker der WPR lassen Musik und Kunst in neuem Licht erscheinen, mit Barockmusik im Reutlinger Kunstverein. Wie sich die Alte Musik wohl gemacht hat zwischen all der Neuen Kunst?

Nach dem Konzert mit drei Werken von Bach freuten sich Chor und Solisten über großen Applaus.
Nach dem Konzert mit drei Werken von Bach freuten sich Chor und Solisten über großen Applaus. Foto: Verena Völker
Nach dem Konzert mit drei Werken von Bach freuten sich Chor und Solisten über großen Applaus.
Foto: Verena Völker

REUTLINGEN. Macht Musik Sinn? Macht Kultur Sinn? Diese Frage stellte Julia Berghoff, die Leiterin des Kunstvereins Reutlingen, zu Beginn dem Publikum, das am Sonntag in den Kunstverein gekommen war. Denn Musik in einem neuen Kontext erlebbar zu machen, hatte sich der Philharmonia Chor Reutlingen unter der Leitung von Martin Künstner vorgenommen. Mit Johann Sebastian Bachs Kantate »Du Hirte Israel, höre« BWV 104 und der Motette »Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir« BWV 131 war man zu Gast in den Wandel-Hallen. Begleitet von Musikern der Württembergischen Philharmonie Reutlingen brachte der 60-köpfige Chor die beiden Werke eindrucksvoll zum Erklingen. Solisten waren Tenor Philipp Nicklaus und Bassist Torsten Müller.

Kunst für Augen und Ohren

Bachs Werke in einem Raum für zeitgenössische Kunst aufzuführen, ermöglichte es, die Kunstwerke mit einer akustischen Ebene zu betrachten. Über dem Konzert stand das Motto »Macht Musik Sinn« – die drei Worten standen als Frage und gleichzeitig als Aussage im Raum. Inwieweit Kunst einen Sinn ergibt, liegt wohl im Auge – in diesem Fall auch im Ohr – des Betrachters. Durch die Verknüpfung von Kunst aus unterschiedlichen Jahrhunderten war es für das Publikum möglich, die Werke von Dominik Halmer und Ria Patricia Ro¨der in der aktuellen Ausstellung »Macht und Sinn« in einem anderen Licht zu sehen. Beide beschäftigen sich mit der Frage nach der Entstehung von Bedeutung – und wem oder was wir in unserer (Medien-)Gesellschaft Bedeutung zumessen.

Der Philharmonia Chor meisterte die komplexe Polyfonie mit großer Klarheit, die Bach in der Kantate »Du Hirte Israel, höre« angelegt hat. Die feine Abstimmung zwischen Chor und Instrumentalensemble verstärkte die spirituelle Wirkung der Musik. Nicklaus interpretierte seine Arien mit kraftvoller Inbrunst, während Müller mit bedachtem, warmem Gesang überzeugte. Seine langen musikalischen Linien machten die hoffnungsvolle Botschaft der Kantate spürbar.

Große Spielfreude

Ihre erdende Wirkung konnte die barocke Musik besonders im Konzert für zwei Violinen d-Moll BWV 1043 entfalten, in dem Timo de Leo und Jasmin Mayer de Leo als Solisten auftraten. Die beiden Violinen lagen nie im Streit, sondern spielten sich im regen Austausch liebevoll ihre Phrasen zu. Das Vivace sprühte vor Spielfreude. Die beiden Solisten entfalteten ihre Stimmen inmitten des gesamten musikalischen Geschehens um sie herum. Sie traten in Dialog, lösten sich wieder voneinander und schienen dann doch wieder ihren eigenen Weg zu gehen. Das Largo mit lieblichen und tröstlichen Melodien, nicht traurig, sondern eher nostalgisch wie eine Erinnerung an eine längst vergangene Zeit, bildete den musikalischen Kontrast dazu. Während sich die Solisten im Allegro noch einmal die musikalischen Bälle hin und herwarfen.

Mit der Motette »Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir« wusste der Chor die traurigen, klagenden Passagen überzeugend zu singen. Demut und Hoffnung stehen dicht beieinander, was der Chor durch gefühlvollen Gesang übermittelte und beides greifbar werden ließ. So bewiesen Chor und Orchester, dass Alte Musik gleichzeitig modern sein kann. (GEA)