REUTLINGEN. Über Leinwände zuckt ein Fiebertraum, vertrackte Rhythmen prasseln nieder, elektronischer Klang zischt und wabert, eine elektrische Geige zieht Kreise, die Gitarre schlägt effektreich ins Gemisch: Octafish machen es weder sich selbst noch ihren Hörern leicht, werden belohnt vom großen Enthusiasmus, der ihnen am Mittwochabend im Reutlinger Kulturzentrum franz.K entgegenschlägt. Die Band aus Reutlingen nennt ihre Musik »Industrial Fake Jazz« und kennt keine Kompromisse. Es ist ihr erstes Konzert seit mehr als sechs Jahren im franz.K; tags zuvor spielten sie in Stuttgart, im viel kleineren Jazzclub Kiste – und sie haben ein neues Album am Start. Es heißt »|:Start 30 Stop:|« und erschien schon 2023. Das Vorgängeralbum von 2018 trug den Titel »Pause Play Stop Rec«.
Die so nüchternen, technischen Titel stehen für Alben, auf denen sich instrumentale Musik findet, dunkel, wuchtig, heute, so scheint es, mehr noch als vor fünf Jahren dem Genre Math-Rock zugeneigt: Hirn-Musik, die in den Magen fährt. Der Bandname Octafish ist einem Captain-Beefheart-Song abgelauscht, und auch sonst gibt es textliche Bezüge in diese Richtung. Vor und nach dem Konzert hört man Musik von Frank Zappa, die Band ist Fan. Die Musik von Octafish erinnert dabei selten an Beefheart oder Zappa; am ehesten hört man aus ihr noch die mit brutaler Komplexität ineinander geschobenen Riffs, die Robert Fripp ab der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre spielte. Octafish haben ihren eigenen Stil gefunden.
Ein neuer Gitarrensound
Gefunden haben Octafish auch einen neuen Gitarristen. Hank Willers, dies erfährt man auf der Website der Band, ist ihnen zwar noch immer verbunden, als »Guitar Consultant« und Komponist; die aktive Rolle auf der Bühne hat nun aber Jacq Dorn inne – auch er stammt aus Reutlingen, ist Lehrer und Gitarrist, tritt bei anderen Gelegenheiten in eher klassischen Kontexten auf.
Die Zugabe, die Octafish nach gut anderthalb Stunden fordernder, abenteuerlicher Musik geben, ist, wie bei ihrem Konzert vor fünf Jahren im franz.K, ein Angriff auf die Mainstream-Kultur: Sie nehmen »Barbie Girl«, den Nummer-eins-Hit des Jahres 1997, und zersägen ihn. Aus einem sehr schlichten Liedchen wird ein instrumentales Epos von greller Wucht. Ein Break verwandelt das Stück in einen Reggae und in die zappaeskste Nummer des ganzen Abends. Jacq Dorn lenkt als Gitarrist mit rasendem Tempo und effektgeladenem Sound das »Barbie Girl« in seine eigene Richtung.
Virtuose Labyrinthe
Raimund Gitsels ist es, der die elektrische Violine spielt, Frank Messmer ist an den Keyboards, arbeitete als Komponist an der Musik, schleudert die wildesten Synthesizer-Soli in den rhythmischen Dschungel. Ivano Abetini spielt E-Bass oder Fagott, legt kleine Oasen eines wärmeren, aber fremdartigen Klangs in einer Musik aus, die sich »industrial« nennt; Wieland Braunschweiger sitzt am Schlagzeug, leistet Erstaunliches, unterstützt von schweren elektronischen Bässen; Florian Kurz malt mit Licht dazu. Octafish klingen wie ein hypermoderner, jazziger Krautrock; sie finden immer wieder neue, vertrackte, rhythmusschwere Ansätze, auf die sie ihre virtuosen Labyrinthe bauen, und Stücke wie »Das Kombinat« oder »Rakkamoby« von ihrem ersten Album werden im Konzert zu Massiven, die sich atemberaubend ins Endlose steigern wollen. (GEA)