ROTTENBURG. Wegen eines medizinischen Notfalls eines Besuchers, bei dem ein Krankenwagen gerufen werden musste, begann das Konzert vor etwa 3.000 Zuhörern auf dem Rottenburger Eugen-Bolz-Platz vor der Kulisse des Bischöflichen Ordinariats mit Verspätung. Lange war nicht klar, ob die Veranstaltung nicht abgebrochen werden würde, da noch einige weitere Zuschauer mit der Hitze Probleme hatten. Die Veranstalter gaben deshalb aus dem Fotografengraben heraus gekühlte Getränke an die Fans aus.
Dann heizte zunächst Malik Harris, 2022 deutscher Teilnehmer am Eurovision Song Contest, als Support die Stimmung an. Der 27-jährige ehemalige Kreisliga-Fußballer des VfL Kaufering bei Augsburg stand alleine auf der Bühne und begleitete sich mit Schlagzeug, Keyboard, Gitarre und Background-Gesang mithilfe einer Loop-Maschine selbst. Beim ESC hatte es nur für den letzten Platz gereicht, in Rottenburg konnten jedoch viele Harris' Hit »Rockstars« mitsingen. Beifall erhielt er auch für einige Rap-Einlagen.
Dann betrat der 36-jährige Brite Calum Scott die Bühne. Da ihn nicht nur Gitarre, Bass und Schlagzeug, sondern auch eine Cellistin und ein Flügel begleiteten, war klar: Es wird langsam und gefühlvoll. Das Repertoire des ehemaligen Rathausangestellten aus Kingston upon Hull in Yorkshire im Norden Englands lässt sich in zwei Kategorien aufteilen: tanzbare elektronisch unterlegte Disco-Songs, die er gemeinsam mit DJs wie Felix Jaehn (»Love On Myself«) oder Lost Frequencies (»Where Are You Now«) veröffentlichte, und gefühlvolle Soulballaden. Diese bezeichnet Scott selbst als »Crying Corner« und kündigte an: »Ich gebe mein Bestes, um euch zum Weinen zu bringen«.
In einigen dieser von Scott selbst geschriebenen Songs geht es um die Akzeptanz seiner Homosexualität durch sich selbst und seine Eltern. So empfiehlt in einem Refrain ein Vater seinem Sohn »Stopp kissing boys in the street«. Erst in der letzten Strophe akzeptiert der Vater auf dem Sterbebett die Sexualität seines Sohnes: »When I am gone, keep kissing boys in the streets.« Auch Titel wie »Our Love Is Wrong« oder »No Matter What« transportieren die Botschaft, sich selbst in seiner Identität zu akzeptieren. Scott sagt, dass ihm erst die Auftritte auf der Bühne die Kraft gaben, sich selbst zu akzeptieren. Deshalb wolle er mit seinen Songs auch andere inspirieren.
Früher in Maroon 5-Tribute-Band
Bevor Scott bekannt wurde, sang er in einer Maroon 5-Tribute-Band. Deshalb sang er auch in Rottenburg den größten Hit der US-Band, »This Love«. Scott wurde 2015 durch den sechsten Platz in der Casting-Show »Britain's got Talent« bekannt, an der er gemeinsam mit seiner Schwester Jade teilgenommen hatte. Damals hatte er mit seiner Interpretation von »Dancing On My Own« der schwedischen Sängerin Robyn die Jury überzeugt. Diesen Song, der auch in der Fernsehserie »Vampire Diaries« eingesetzt worden war, sparte er sich für die Zugabe auf.
Calum Scott überraschte seine zumeist weiblichen Fans mit Ansagen auf Deutsch. Zwei Frauen in der ersten Reihe, die aus dem Saarland und aus Kassel gekommen waren und bereits Scotts vorherige Konzerte in Bochum und Friedrichshafen gesehen hatten, waren von seinen Sprachkenntnissen weniger überrascht. Sie kannten seinen Trick. Er hatte sich einen in Blockschrift geschriebenen Spickzettel neben die Setlist auf den Boden der Bühne geklebt. »Ich liebe euch, Rottenburg am Neckar, und ich komme wieder nach Deutschland«, las er sein Versprechen ab. Zunächst zieht es Calum Scott allerdings auf die ganz große Bühne. Er geht mit Ed Sheeran auf Tour und spielt bereits am Samstag im Lewski-Stadion in der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Anschließend geht es nach Zypern und dann auf US-Tournee. (GEA)