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Abschiedstour als Chef: Ernst Hutter mit den Egerländern in Reutlingen

Klangpracht und ein Hauch von Wehmut: Ernst Hutter machte auf Abschiedstournee als Leiter der Egerländer Musikanten in Reutlingen Station. Sein Nachfolger zeigte ein unerwartetes Talent.

Die Egerländer Musikanten in der Reutlinger Stadthalle. Vorne von links die Sänger Katharina Praher und Nick Loris sowie Leiter
Die Egerländer Musikanten in der Reutlinger Stadthalle. Vorne von links die Sänger Katharina Praher und Nick Loris sowie Leiter Ernst Hutter. Direkt hinter ihm bläst sein Nachfolger Alexander Wurz das Tenorhorn. Foto: Armin Knauer
Die Egerländer Musikanten in der Reutlinger Stadthalle. Vorne von links die Sänger Katharina Praher und Nick Loris sowie Leiter Ernst Hutter. Direkt hinter ihm bläst sein Nachfolger Alexander Wurz das Tenorhorn.
Foto: Armin Knauer

REUTLINGEN. Glamour war seine Sache nie. In all den Jahren hat Ernst Hutter immer bodenständig für die Blasmusik gerackert. Die großen Worte überließ er Profimoderator Edi Graf, die großen Gefühle der Musik. Doch nun ist Hutter auf Abschiedstournee als Chef der Egerländer Musikanten, am Sonntag war Station in Reutlingen. Und nun, da seine Mission zu Ende geht, erlaubt er sich doch ein bisschen Emotion.

Ganz allein tritt Hutter auf die Bühne, mit einer Basstrompete, wenn Auge und Ohr nicht täuschen. Ganz allein spielt er, begrüßt sein Publikum. Der Saal mit 1.240 Plätzen ist ausgebucht. Eingestimmt auf das Geschehen hat zuvor im Foyer stilecht die Engstinger Formation Alb 7. Doch nun blickt alles auf den scheidenden Chef.

Lichtkegel im Bühnenhimmel

Der wirkt etwas erlöst, als seine knapp 20 Musiker sich hinzugesellen. Der Sound blüht auf; Strahler strecken ihre Lichtkegel in den Himmel, hoch oben im Bühnenschwarz prangt das Egerländer-Logo wie ein Batman-Zeichen, nur mit einem verschnörkelten »E« im leuchtenden Kreis anstelle der Fledermaus.

Der scheidende Chef ergreift ausnahmsweise selbst das Wort: Ernst Hutter in der Stadthalle Reutlingen.
Der scheidende Chef ergreift ausnahmsweise selbst das Wort: Ernst Hutter in der Stadthalle Reutlingen. Foto: Armin Knauer
Der scheidende Chef ergreift ausnahmsweise selbst das Wort: Ernst Hutter in der Stadthalle Reutlingen.
Foto: Armin Knauer

Eine Art Superheld des böhmisch-mährischen Genres ist Ernst Hutter denn ja auch. Nur ist sein Programm das Gegenteil des dunklen Rächers. Ein Abend lang ist alles Düstere verbannt, ersteht eine folkloristische Traumwelt, in der alles heil ist und am Platz. Im Übrigen auch geschlechtermäßig. Die Egerländer dürfen noch als verbrüderter Männerhaufen daherkommen, der im Zugabenblock die Schnapsgläser klirren lässt. Das weibliche Element hat hier nur als Ideal häuslicher Zweisamkeit Zutritt – in Gestalt von Sängerin Katharina Praher, die ihre Stimme zu der des Metzingers Nick Loris gesellt. In Terzen aneinander geschmiegt gleiten sie durch die Polka- und Walzermelodien.

Puristisches Programm

Purer denn je aus genau diesen Polkas, Walzern und einigen Märschen besteht das Programm. Als wolle Hutter zum Ausstand den Markenkern zementieren. Ein Schlenker in Sambagefilde im Solistenblock der Trompeter (große Show!), ein Schlenker zum Pop, als sich Hutters Nachfolger Alexander Wurz überraschend in der Rolle des Schlagersängers vorstellt (was ihm durchaus liegt!) – sonst Böhmen pur. Nicht das reale, sondern jenes erträumte, das als Projektionsfläche heimatlicher Sehnsüchte so sehr taugt.

Nach dem Intro übergibt Hutter das Mikro an den charmanten Plauderer Edi Graf und wird wieder zum Arbeiter am Klang. Gerne mit dem Tenorhorn im Anschlag. Mit seinen Mannen sorgsam die Emotionswelt der böhmischen Traumwelt gliedernd. Darin sind die Trompeten und Flügelhörner für den Festjubel zuständig, Posaunen und Tuben für die kraftstrotzenden Attacken, die Klarinetten für die filigranen Glanzlichter. Für die Sehnsucht hingegen die Tenorhörner und das Bariton.

Melos von der Silberbüchse

Ein Fest, wie es aus dem Trompetenblock funkelt bis in die Ultrahochtöne von Hutters Sohn Martin. Wie in Posaunen und Schlagwerk (mit Hutters zweitem Sohn Stefan) der Rhythmus einrastet. Wie sich Katharina Praher und Nick Loris mit ihren Stimmen zart über den heruntergedimmten Bläsersound legen. Als Seele des Ganzen führt Hutter aber so innig wie nie das atmende Melos der Tenorhörner vor. Wenn er seine Silberbüchse an den Lippen hat, strömt selbst bei dem sachorientierten Tonwerker das Gefühl. Ein bewegender Moment, als Hutter und sein Nachfolger Alexander Wurz sich zu einem von Stefan Hutter komponierten Solo vereinigen. Und die Stimmen ihrer Instrumente in der Kadenz ganz allein den Saal füllen.

Der jetzige Chef und der künftige beim gemeinsamen Musizieren: Ernst Hutter an der Posaune (links), daneben Schlagzeuger Stefan
Der jetzige Chef und der künftige beim gemeinsamen Musizieren: Ernst Hutter an der Posaune (links), daneben Schlagzeuger Stefan Hutter, sein Nachfolger Alexander Wurz als Sänger und Sängerin Katharina Praher. Foto: Armin Knauer
Der jetzige Chef und der künftige beim gemeinsamen Musizieren: Ernst Hutter an der Posaune (links), daneben Schlagzeuger Stefan Hutter, sein Nachfolger Alexander Wurz als Sänger und Sängerin Katharina Praher.
Foto: Armin Knauer

Es ist auch ein Schaulaufen der Eigenkompositionen. Alexander Wurz steuert ein Stück bei, Stefan Hutter zwei, der scheidende Chef eine ganze Reihe. Darunter welche, die längst Klassiker sind, wie die virtuos verschnörkelten »Egerländer Spielereien«. Aber auch eines voll anrührender Wehmut wie »Ein Walzer zum Abschied«.

In Form und Balance

Hutter gibt mit seinen Egerländern all diesen Emotionen Form und Balance. Bringt seine Musiker dazu, hochpräzise zu spielen – und doch entspannt und frei. Selbst seiner eigenen Nachfolge hat er feste Form gegeben, hat alles geplant und gestaltet: Am 7. November, zum 100. Geburtstag von Orchestergründer Ernst Mosch, wird er den Taktstock an Alexander Wurz übergeben. In der Stadthalle ergreift er am Ende noch einmal selbst das Wort, blickt zurück und nach vorn, macht klar, was es für ihn bedeutet, diese Kapelle zu leiten. Und Helmut Kassner, Lokalmatador an der Trompete, annähernd so lange dabei wie Hutter, würdigt seinen Chef als großes Vorbild – musikalisch, menschlich und im Arbeitsethos.

Es gehört zu diesem Ethos, dass Hutter rechtzeitig loslassen kann. Nur am Abend selbst tut er sich schwer mit dem Loslassen. Der ganze Saal hat ihn bereits mit stehenden Ovationen verabschiedet, doch Hutter setzt immer wieder neu an. »Auf der Vogelwiese« verzückt das Publikum, weitere Titel folgen, weitere Ovationen, es scheint kein Ende zu nehmen. Bis Hutter die Bühne doch verlässt – nicht ohne Wehmut. (GEA)