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Abenteuer zwischen Jazz und Pop: Himoya im Reutlinger Jazzclub Mitte

Kategorisieren lässt sich ihre Musik kaum. Die Band Himoya und ihre Sängerin Julia Ehninger wandeln betörend zwischen Jazz, Pop und Art-Rock und überraschen im Reutlinger Jazzclub Mitte ein kleines Publikum mit ihren Kreationen.

Jenseits aller Schubladen: Himoya im Jazzkeller.
Jenseits aller Schubladen: Himoya im Jazzkeller. Foto: Thomas Morawitzky
Jenseits aller Schubladen: Himoya im Jazzkeller.
Foto: Thomas Morawitzky

REUTLINGEN. Die ersten Klänge schon sind ungewöhnlich: Da taucht ein Keyboard auf mit rundem, verfremdetem Sound, spielt eine Melodie, die schildernd vor sich hin tanzt und nicht sehr nach Jazz klingt. Die Stimme von Julia Ehninger setzt ein, klar, sanft, ein wenig verträumt, erklimmt Höhen, fällt zurück, ruft Zeilen aus. Und hinter ihr schon das Schlagzeug, das federnd, energisch einen rhythmischen Teppich ausbreitet, der sich ständig ändert, die Musik mit neuen Mustern, Wendungen versieht. Alexander Parzhuber nimmt am Samstagabend beim Konzert von Himoya im Reutlinger Jazzclub Mitte den Platz von Jeroen Truyen ein, dem Stammschlagzeuger dieser Band – eine beachtliche Leistung, denn es ist eine komplexe Musik, in der das Schlagzeug keine geringe Rolle spielt.

Himoya, das erfährt man auf der Website der Band, meint auf Deutsch so viel wie Schutzraum. Einen Raum vielleicht, der abschottet gegen Ansprüche, die von außen an diese Band herangetragen werden, ihr die Freiheit gibt, die eigenen Ideen zu entwickeln, so unkonventionell sie auch sein mögen. Himoya spielen im Jazzclub für ein kleineres Publikum - den traditionellen Erwartungen entspricht ihr musikalischer Entwurf sicherlich kaum. Aber er überrascht mit immer neuen Richtungswechseln, wirkt einmal energisch und komplex, dann fein gesponnen, ätherisch, kehrt wieder zurück zu vertrauten, geradlinigen Strukturen. Zwischen Jazz und Synth-Pop ordnet die Band selbst sich ein; an Art-Rock möchte man auch denken, an ungewöhnliche Fusionen, die ihre Wurzeln vielleicht in den 1970er-Jahren haben.

Grenzen verschwimmen

Neben Julia Ehninger und Alexander Parzhuber gehören an diesem Abend Nicolai Amrehn am Bass und Jonathan Hofmeister an den Keyboards zu Himoya. Hofmeister schrieb den größeren Teil ihrer Stücke, Ehninger und Amrehn trugen ebenfalls Material bei. Oft scheint ihre Musik um eine Achse zwischen Schlagzeug und Keyboard herum aufgebaut zu sein, scheinen sich diese beiden Instrumente gegenseitig herauszufordern – aber schnell tritt der Bass in den Vordergrund, oder Julia Ehningers Stimme. Sie bewegt sich in allen Bereichen, erinnert an Chanson, an Pop, dann wieder an den reinen Jazz, ist elegant und sicher, schwerelos. Manchmal auch verfremdet die Sängerin ihren Gesang, lässt ihn zum elektronischen Gluckern werden, in einem Klangbild, dessen einzelne Elemente lange in unterschiedliche Richtungen streben, ehe sie plötzlich wieder aufeinander zurückfallen.

Hartnäckige Pop-Melodien kreisen auf dem Keyboard und werden abgelöst von freier, wilder Jazzimprovisation des Pianos, während Alexander Parzhuber mit erstaunlicher Energie und Sicherheit Takte zergliedert, in etliche Schläge zerfallen lässt, ein beständiges Trommelgewitter abschießt, mitunter ebenfalls auf elektronische Effekte zurückgreift. Synthesizerflächen breiten sich aus für den sanften eingängigen Refrain bei »Have You Ever«, das Keyboard beginnt, eine kindlich helle Melodie zu wiederholen, Julia Ehninger versinkt in ein Murmeln von Satzfragmenten – und ruft plötzlich: »Shut up!« Und da ist sie wieder, die Form.

Vier Individualisten

Jedes Stück von Himoya setzt sich zusammen aus mehreren Teilen, gegliedert durch Takt- und Stilwechsel, ein kleiner Kosmos, geschaffen von Individualisten, die sich vorbehaltlos, aber mit Gespür für ihre Differenzen aufeinander einlassen. »Paint« heißt das nächste Stück, das mit lebhaften Wirbeln beginnt, sich dann öffnet, zum Mysterium wird, ambienthafte Züge annimmt – und »Thin Air« heißt das letzte Stück des Abends, entstanden, wie Julia Ehninger sagt, zur ersten Amtszeit des derzeitigen US-Präsidenten - gewiss kein Liebesbrief, aber eine wiederum betörende Melange. Mit einer ruhigen sphärischen Zugabe, avantgardistischem Pop ganz und gar, geht der Abend zu Ende. (GEA)