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Abbild der Gesellschaft: Tanzstück mit 40 Laien an der Reutlinger Tonne

Können Menschen zusammenleben, obwohl sie aus unterschiedlichen Kulturen und Altersschichten stammen und auch sonst völlig verschieden sind? Choreograf James Sutherland spürt dem in einem Tanzstück an der Tonne nach. Und holt dafür 40 Laien auf die Bühne.

Kinder, Erwachsene, Menschen verschiedener Kulturen, mit und ohne Behinderung wirken an der Tonne-Produktion »Tanzt!« des Choreo
Kinder, Erwachsene, Menschen verschiedener Kulturen, mit und ohne Behinderung wirken an der Tonne-Produktion »Tanzt!« des Choreografen James Sutherland mit. Foto: Tonne/Beate Armbruster
Kinder, Erwachsene, Menschen verschiedener Kulturen, mit und ohne Behinderung wirken an der Tonne-Produktion »Tanzt!« des Choreografen James Sutherland mit.
Foto: Tonne/Beate Armbruster

REUTLINGEN. Krieg, Krisen, Anschläge: Die Medien sind voll von Situationen, in denen das Miteinander scheitert. Ist ein Zusammenleben möglich, auch wenn jeder einzelne ganz unterschiedlich ist? Wenn Menschen verschiedenster Kulturen, Sprachen, Religionen aufeinanderprallen, alte, junge, mit oder ohne Behinderung? Der Pforzheimer Choreograf James Sutherland untersucht das in einem Tanzabend an der Tonne wie in einer Versuchsanordnung. Und hat dafür Reutlinger Bürger zum Mitmachen eingeladen.

40 Laien aus der Region haben sich gemeldet. Von acht bis 75 reicht die Altersspanne; es sind Menschen mit Behinderung dabei; solche mit Wurzeln in Europa, Afrika, Iran oder China. Seit Oktober proben Sutherland und sein Assistent Davide Degano mit der Laienschar, zu der auch noch vier Profis stoßen. Immer samstags in der Turnhalle der Eichendorff-Realschule ist Termin – für die Aufführung reicht der Platz im Tonne-Saal 1, fürs Proben nicht.

Einheit aus Gegensätzlichem

Für Sutherland und Degano ist faszinierend, was sich seither entwickelt hat. Anfangs sei da noch eine große Scheu gewesen. Inzwischen könnten sich viele schon nicht mehr vorstellen, wie es ist, wenn man samstags nicht mehr probt. Ein Ganzes hat sich gebildet – genau das ist das Thema: Kann sich eine Einheit bilden aus gegensätzlichen Individuen? Sutherland hat dabei John Lennons Song »Imagine« im Ohr: »Stell dir vor ...« Klar, Lennon singe von einem Traum, »aber da ist auch eine Wahrheit drin.«

An dem Tanzabend werden beide Seiten durchgespielt. Ein Teil beschäftigt sich damit, wie Integration gelingen kann. Ein anderer Teil damit, wie Integration scheitert. Wie es zu Ausgrenzung, Abgrenzung, dem Zerfall von Solidarität kommt. Am Ende steht Hoffnung, wie Sutherland versichert.

Die Teilnehmer des Tonne-Tanzabends im Gruppenbild.
Die Teilnehmer des Tonne-Tanzabends im Gruppenbild. Foto: Beate Armbruster
Die Teilnehmer des Tonne-Tanzabends im Gruppenbild.
Foto: Beate Armbruster

Die Arbeit mit den 40 Laien, Kindern wie Erwachsenen, war selbst ein aufregender Akt der Integration. Teilnehmer mit völlig unterschiedlichen Voraussetzungen trafen aufeinander. Genau das sei die Stärke des Ansatzes, betonen Degano und Sutherland: Jeder bringe unterschiedliche Dinge mit, könne diese mit einbringen. »Die Teilnehmer sind auf der Bühne das, was sie sind«, erklärt der Choreograf.

Aufführungsinfo

Der Tanzabend »Tanzt!« in der Leitung von James Sutherland feiert an diesem Donnerstag, 13. März, um 20 Uhr im Tonne-Saal 1 im Theaterneubau an der Jahnstraße Premiere. Weitere Aufführungen sind am 15., 18., 19., 22., 23., 28., 29. und 30. März. Die Aufführungen am 18. und 19. März sind Teil der Reutlinger Theateroffensive. (GEA)
www.theater-reutlingen.de

Insofern sei die durch vier Profis verstärkte Laientruppe ein Miniatur-Abbild der Gesellschaft, sagt Dramaturgin Alice Feucht. Das Zusammenwachsen dieser Individuen zur Gruppe im Probenprozess steht für das Thema als Ganzes.

Geleitete Improvisationen

In diesem Setting sei es weder möglich noch sinnvoll gewesen, eine feste Choreografie mit vorgegebenen Schrittfolgen einzustudieren, stellt Sutherland klar. Stattdessen habe man auf geleitete Improvisationen gesetzt und diese von Probe zu Probe erweitert. Da der Probenprozess das Kernthema des Abends spiegelt, holt man diesen Prozess auch in die Aufführung hinein: Bereits vor dem Beginn des Stücks wird man sehen, wie sich die Teilnehmer mit Tai-Chi-Übungen aufwärmen. Was fließend ins Stück übergeht. Man wird auch sehen, wie die Profitänzer mit teilnehmenden Kindern aus dem Moment heraus eine kleine Choreografie einstudieren, die diese spontan umsetzen.

»Am Anfang waren alle sehr skeptisch«, erzählt Sutherland. »Jetzt sind sie fast süchtig nach den Tanzproben.« Und so, wie sich hier ein Sammelsurium von Typen zur Gruppe zusammengerauft hat, ist der Choreograf auch insgesamt überzeugt: »Integration ist möglich. Wir können uns als Menschen in unserer Verschiedenheit akzeptieren.« (GEA)