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Aktuell BühneÜberbordende Bilderflut: Verdis »Attila« bei den Opernfestspielen HeidenheimSeit einigen Spielzeiten profilieren sich die Opernfestspiele Heidenheim mit der Aufführung nur selten zu erlebender Verdi

Überbordende Bilderflut: Verdis »Attila« bei den Opernfestspielen Heidenheim

Seit einigen Spielzeiten profilieren sich die Opernfestspiele Heidenheim mit der Aufführung nur selten zu erlebender Verdi-Opern aus der Frühzeit des Komponisten. Nun folgte die Geschichte vom Hunnenkönig Attila.

Wildes Bilderkarusell: Das Finale des 2. Akts von Verdis »Attila«.
Wildes Bilderkarusell: Das Finale des 2. Akts von Verdis »Attila«. Foto: Oliver Vogel
Wildes Bilderkarusell: Das Finale des 2. Akts von Verdis »Attila«.
Foto: Oliver Vogel

HEIDENHEIM. Was von Verdi im Allgemeinen aufgeführt wird, ist nur ein schmaler Ausschnitt seines Schaffens. Insbesondere die frühen Stücke sind, von gelegentlichen Aufführungen des »Nabucco« einmal abgesehen, nur sehr selten zu erleben. Umso verdienstvoller, dass sich die Opernfestspiele in Heidenheim konsequent auch dieser Verdi-Werke annehmen, damit zugleich ihr Programmprofil schärfen und insbesondere mit Festspielleiter Marcus Bosch einen Dirigenten haben, der ein untrügliches Gespür für die genauso leidenschaftliche wie effektsichere Tonsprache des jungen Verdi hat.

Und dann kommt Freude auf, wie zündend sich ein Werk wie jetzt der »Attila« anhört. Historische Wahrheiten werden da freilich nur ansatzweise verhandelt. »Attila« ist ein in Musik gesetztes Historiengemälde, bei dem ein geschichtliches Szenario als Folie dient für Liebe und Leidenschaft, Rache und Totschlag, Kirchengläubigkeit und Patriotismus. Wobei es durchaus dramatische Konstellationen gibt, wie wir sie noch immer aus der Realpolitik kennen. Beispielsweise einen Potentaten wie Attila, von Papst Leo I. als »Geißel Gottes gegen die Menschheit« gebrandmarkt. Höhnisch lehnt er den vom römischen Heerführer Aetius (bei Verdi Ezio) angebotenen Waffenstillstand ab. Lässt Aquileia plündern und niederbrennen, nachdem er dessen Herrscher erschlagen hat. Und löst so eine Flüchtlingswelle der einstigen Bewohner auf Booten aus.

Odabella nimmt Rache

Sodann nimmt er sich Odabella, die Tochter des ermordeten Stadtoberhaupts, triumphierend zur Frau. Die jedoch sinnt auf Rache. Gemeinsam mit ihrem Verlobten Foresto, Ezio und dem römischen Heer gelingt ihr die auch, nachdem Attila samt seinen Hunnen in einen Hinterhalt gelockt worden ist. Bis es allerdings so weit kommt, gehen konfliktreiche Auseinandersetzungen, Verwicklungen und Missverständnisse einher. Für das Verständnis der Handlung sind die zwar wenig hilfreich, doch musikalisch boten sie dem jungen Verdi die Gelegenheit, virtuos mit allen Ingredienzien der damaligen italienischen Oper zu jonglieren: Gebet und Trinklied, Rachearie und Liebesduett, Schlachtenmusik und Chorhymne. Verschiedene Passagen seines frühvollendeten Personalstils verweisen dabei auf Späteres, die »Macht des Schicksals« beispielsweise.

Auf den ersten Blick scheint es plausibel, dass Matthias Piro, der Regisseur der Heidenheimer Neuinszenierung, statt einem hollywoodfilmartigen Szenario eher eine Shakespeare-Bühne als Spielfläche wählt, um die herum sich schon im Prolog Chor und Solisten gruppieren. Alsbald treten sie in spannend entwickelte Interaktionen ein, zeigen Rasanz, aber auch Verinnerlichtes. Insbesondere die Führung des Terzetts im dritten Akt zeugt von gutem Regie-Handwerk, wie es Piro nicht zuletzt als Assistent von Lydia Steier mit auf den Weg bekommen hat.

Im eigenen Assoziationsgeflecht verheddert

Schade nur, dass er sich im Laufe der Vorstellung im eigenen Assoziationsgeflecht verheddert und die schon im Opernlibretto nicht sonderlich schlüssig aufgebauten Erzählebenen durch überbordende Bild- und Videoprojektionen noch mehr durcheinanderbringt. Da wechseln Michelangelos »Erschaffung des Adam« mit Jacques Louis Davids Napoleon beim Überqueren der Alpen, Mussolinis Marsch auf Rom mit dem Sturm auf das US-Capitol 2021, flimmern Donald Trump und Alice Weidel auf, läuft Odabella im schicken weißen Hosenanzug herum wie Giorgia Meloni beim Antrittsbesuch in Washington und doziert Attila im zweiten Akt in einem Sitzungssaal des Europa-Parlaments. Natürlich können, dürfen, ja müssen sogar faschistoide Tendenzen und Gewaltherrschaft einst und jetzt in einer Theaterinszenierung kritisch reflektiert werden, aber dann bitte stringent entwickelt und nicht wild assoziativ.

Verdis musikdramatische Sicht auf den gewaltbereiten Hunnenkönig verlangt einen dramatischen Bassisten mit großem Ambitus wie jetzt den hierfür geradezu perfekten, wuchtigen Robert Pomakov. Dessen Gegenspieler Ezio verleiht der weit ausladende Bariton Marian Pop affektangemessen Furor wie gleichermaßen noble Größe. Mit hinreißender Strahlkraft startet Adam Sánchez seinen Foresto schon im Prolog, zeigt über den Abend hin Stehvermögen und Differenzierungsvermögen. Die kleineren Partien sind mit Musa Nkuna (Uldino) und Jared Ice (Leo I.) gut besetzt. Und als einzige Frau in diesem Männerensemble brilliert Leah Gordon als dominante Odabella mit dramatisch funkelnden Koloraturen.

Aufführungsinfo

Eine Folgeaufführung von »Attila« bei den Opernfestspielen Heidenheim gibt es am 19. Juli 2025. Das Festival läuft noch bis zum 27. Juli. (GEA)

Marcus Bosch führt den von Joel Hána präzise einstudierten Tschechischen Philharmonischen Chor Brünn und sein Festspiel-Orchester zu hohen Leistungen, befestigt dabei sein Renommee als Verdi-Experte, verbindet Prägnanz mit Eleganz, dosiert klug die zackig-martialen Krieger-Gesänge und überzeugt mit seinem punktgenauen, elastisch federnden, dabei temperamentvoll gehaltenen Dirigat, welches zugleich den filigranen Passagen genügend Transparenz lässt. (GEA)