TÜBINGEN. »Sie verdienen bis heute unsere Aufmerksamkeit«, sagt Wolfram Eilenberger über die Philosophen des 20. Jahrhunderts Theodor W. Adorno, Susan Sontag, Michel Foucault und Paul Feyerabend. In seinem Buch »Geister der Gegenwart«, erschienen im Klett-Cotta Verlag, entwirft der gebürtige Freiburger, der zu den meistübersetzten zeitgenössischen Sachbuchautoren deutscher Sprache zählt, ein Ideenpanorama der westlichen Nachkriegszeit.
Bei seiner von der Buchhandlung Osiander veranstalteten Lesung am Mittwochabend im Tübinger Museumssaal sagte Eilenberger, der Moderator der Sendung »Sternstunde Philosophie« im Schweizer Fernsehen SRF und Teil der Programmleitung des Philosophiefestivals phil.cologne ist, dass die größte Leistung der vier von ihm Porträtierten darin bestehe, dass sie - mit Worten, Begrifflichkeiten, ganzen Formulierungsgebäuden - Dinge zur Sprache gebracht hätten, die noch nicht gesagt waren, sondern »unheimlich, unausgesprochen waberten«. Sie hätten eine sehr ausgeprägte und intensive Art gehabt, »über ihr eigenes Denken nachzudenken - gegen ihr eigenes Denken anzudenken«. Sie seien »sehr witzig, ätzend, extrem schwierig und unangenehm, teilweise auch befreiend« - bis heute. Alle vier hätten an Bruchlinien unserer Zeit etwas entwickelt, das Eilenberger als den Zielzustand der Philosophie bezeichnete: geistesgegenwärtig zu sein.
Vier Gegenaufklärer?
Jeder Einzelne der Vier habe sich immer wieder mit der Frage beschäftigt, welche Rolle Vernunft und Aufklärung noch haben - haben können angesichts des Zweiten Weltkriegs, der Shoa, des französischen Kolonialismus, des Vietnam-Kriegs. Und auch wenn sie von der Wissenschafts-Orthodoxie mitunter als Gegenaufklärer geziehen werden, sieht Eilenberger sie als Aufklärer im besten Sinne: Denker, die wie Immanuel Kant die Notwendigkeit gesehen hätten (aber auch, wie schwer es für jeden einzelnen Menschen ist), sich aus seiner »selbstverschuldeten Unmündigkeit« herauszubewegen. Menschen, die die Kämpfe, die das zwangsläufig bedeute, immer auch radikal an sich selbst durchexerziert hätten. Sie hätten die Art und Weise revolutioniert, wie wir über unsere Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft nachdenken. So trägt Eilenbergers Buch denn auch den Untertitel »Die letzten Jahre der Philosophie und der Beginn einer neuen Aufklärung 1948–1984«.
Die Süddeutsche Zeitung spricht im Hinblick auf das Buch von einer »faszinierenden Archäologie der Gegenwart«. Eilenbergers erhellende Bohrungen in der Ideengeschichte legten »im Dienst der Aufklärung und Ausnüchterung Tiefenschichten heutiger Konfliktlagen, Identitätskonstruktionen, Missverständnisse und Verwirrungen frei«. (GEA)