KREIS TÜBINGEN. »Man hört und liest viel von den 400.000 Wohnungen, die laut Bundesbauministerin Klara Geywitz jährlich gebaut werden sollen«, erklärt Matthias Sacher. »Nur sieht die Realität leider ganz anders aus.« Bundesweit wurden im vergangenen Jahr über 100.000 Stück zu wenig gebaut und auch im Landkreis Tübingen fehlen über 2.000 neue Wohnungen.
Der Geschäftsführer der Kreisbaugesellschaft Tübingen ist - wie wohl die meisten in der Branche - im »Krisenmodus«. Auf der einen Seite steht die immense Nachfrage nach einem Grundbedürfnis, dem Wohnen. Auf der anderen Seite: Massiv gestiegene Baukosten, Zinserhöhungen, steigende Löhne. Und das schlägt sich in den Preisen nieder, sei es nun beim Mieten oder Kaufen. »Das wird wirtschaftlich immer schwieriger darstellbar«, sagt Sacher. Neu bauen unter den aktuellen Bedingungen und den zugehörigen Auflagen, die beachtet werden müssen, liege man bei Netto-Kaltmieten zwischen 16 und 18 Euro pro Quadratmeter. Wer kauft, müsse teilweise über 6.000 Euro pro Quadratmeter hinblättern - für viele Menschen nicht mehr bezahlbar. Bundesweit sei ein Rückgang der Baugenehmigungen von 26 Prozent zu verzeichnen. »Das Grundbedürfnis Wohnen bei der gegenwärtigen Nachfrage abzudecken, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit«, bringt es Sacher auf den Punkt.
13 fertige Wohnungen
Hat die Kreisbau im vergangenen Jahr noch rund 90 Wohnungen fertigstellen können, sind es in diesem Jahr nur 13. »2025 werden es wahrscheinlich noch weniger sein.« Damit will der Geschäftsführer sagen: »Wir sind eine träge Branche.« Lange Vorlaufzeiten verzögern Projekte, von denen im Moment viele ruhen, weil die Rahmenbedingungen das Bauen nicht zuließen. Bei manchen Gebäuden werden wiederum auf einen Schlag plötzlich sehr viele Wohnungen auf einmal fertig, auch das beeinflusse die Aussagekraft der Zahlen.
Dabei geht es der Gesellschaft finanziell gar nicht so schlecht. »Mit einer Bilanzsumme von rund 214 Millionen Euro sind wir im oberen Segment der Wohnungswirtschaft«, erläutert Sander. Trotzdem: Bauen nach dem bekannten Muster lohne sich einfach nicht, wenn man weiterhin faire Konditionen und bezahlbaren Wohnraum bieten wolle. »Wir wollen aber nicht nur jammern, sondern zeigen, was möglich ist.« Deshalb gehe die Kreisbau im Moment verstärkt zwei Wege: den der Sanierung sowie den der Entwicklung neuer Wohnprojekte.
»Wir haben viel in unseren Bestand investiert«, erklärt Sacher. Die Kreisbau versuche gegenwärtig, ihre Immobilien energetisch so weit flottzumachen, dass die strengen EU-Normen eingehalten werden und der CO2-Ausstoß so weit wie möglich reduziert wird - Stichwort Dekarbonisierung. Insgesamt 6,7 Millionen Euro hat die Gesellschaft im vergangenen Jahr in ihre Objekte investiert. In vielen wurden die alten Ölheizungen ausgetauscht und durch moderne Pelletheizungen ersetzt. Anschluss an Fernwärme-Netze habe man bislang nur in Tübingen. »In Dußlingen konnten wir ein Objekt an das Nahwärmenetz anschließen«, sagt der Geschäftsführer. Man habe ungefähr 80 Prozent des Bestandes bereits ertüchtigt. Aber: »Wenn wir mit allem durch sind, beginnt es von vorne.« Dafür stehe das »Kreis« in Kreisbau - dann müsse man nämlich wieder bei den zuerst sanierten Häusern anfangen. »Wir rechnen in 40-Jahres-Zyklen«. Das große Ziel ist die CO2-Neutralität. »Unser Emissionswert ist bereits jetzt unterdurchschnittlich«, erklärt Sacher. Knapp 18 Kilogramm CO2 pro Quadratmeter seien das. »Das entspricht in der Summe im Jahr ungefähr zweieinhalb Langstreckenflügen über den Atlantik.«
Kostentreiber Auto
Neben der Sanierung des Bestands hat die Kreisbau ein neues Konzept entwickelt, wie sie trotz der hohen Kosten weiter bauen kann. Sacher nennt das den seriellen Haustyp: Holzhybrid-Bauweise, PV-Anlagen auf dem Flachdach, einheitliche Planungen der Gebäude, Barrierefreiheit und keine Keller. »Wir wollen Häuser bauen, die von Kirchentellinsfurt bis Bodelshausen funktionieren.« Die Modelle seien so vereinfacht, dass Blaupausen teilweise einfach übernommen werden können. »Das spart vor allem bei den Planungskosten.« Ein großer Kostentreiber bei Bauvorhaben sei aber immer noch das Auto: »Wir sparen rund ein Viertel der Baukosten, wenn wir die Tiefgaragen weglassen«, sagt Sacher. In der Summe komme man so auf unter 3.000 Euro pro Quadratmeter.
Ohne Tiefgarage fällt zudem viel weniger Geld für die Materialentsorgung an. Auch die Pflege des Bestands ist kostenintensiv: Die Sanierungsarbeiten alter Tiefgaragen sei teuer, weil die neuen, breiteren Autotypen teilweise nicht mehr in die geplanten Parklücken passen. Für diejenigen, die aufs Auto angewiesen sind, birgt der serielle Haustyp allerdings ein Manko: Pro Wohneinheit ist nur ein Stellplatz geplant. Die Reaktionen im Kreistag, in dem vielen Bürgermeister der umliegenden Gemeinden sitzen, waren gemischt. »Die Gemeinden verstehen die Probleme und sehen die Notwendigkeit«, erläuter Sacher. Trotzdem bleibe ein Stellplatzschlüssel sehr gering für den ländlichen Raum.
In knapp zwei Jahren will die Tübinger Kreisbaugesellschaft mit dem Bau des neuen Haustyps beginnen. »Ich sehe nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir bauen nicht, oder wir akzeptieren, dass sich die Umstände geändert haben und wir uns anpassen müssen«, fasst der Geschäftsführer zusammen. »Die Autolobby fragt ja auch nicht nach der Stellplatz-Situation beim Bau, wenn sie ihre Autos planen.« (GEA)