Doch seit wenigen Tagen hat sich Misstrauen eingeschlichen. Diejenigen, die in der Schellingstraße ein- und ausgehen, beziehungsweise dort wohnen und arbeiten, haben erfahren, dass ihr Gebäude überwacht werden sollte. Die Polizei hatte einen Nachbarn auf der gegenüberliegenden Straßenseite gefragt, ob sie eine auf den Hauseingang gerichtete Videokamera anbringen dürfe.
Gefragt wurde der Mann einige Tage, nachdem in der Fürststraße drei Autos in Brand gesetzt wurden. Der Verdacht richtete sich gegen die autonome Szene. Die Ermittler vermuteten, dass die Tübinger Brandstiftung Teil eines bundesweiten politisch motivierten Protests gewesen sein könnte. In Berlin waren mehrere von der linksautonomen Szene genutzte Gebäude geräumt worden. Übers Internet wurde dazu aufgerufen, als Zeichen der Solidarität bundesweit Sachschaden in Millionenhöhe anzurichten.
Staatsanwalt schweigt
Von den offiziellen Stellen gibt's zur Schellingstraße keine Stellungnahme. Der Leitende Oberstaatsanwalt Michael Pfohl bittet um Verständnis. Man gebe grundsätzlich keine Auskunft zu laufenden Verfahren, wenn dadurch die Ermittlungen behindert werden könnten. Auch die Polizei beantwortet keine Anfragen dazu und teilt nur mit, man gehe verschiedenen Spuren und Hinweisen nach. Das Verfahren richte sich noch gegen Unbekannt.Der Nachbar hat den Wunsch der Beamten abgelehnt, die Geschichte aber weitererzählt. Da war's nur noch eine Frage der Zeit, bis die Schellingstraßenbewohner davon erfahren würden. Und die sind empört. Gemeinsam haben sie einen offenen Brief verfasst und auch an die Presse geschickt. Moritz Tremmel vom Wohnprojekt und Michael Knödel vom Vier-Häuser-Projekt, das dort sein Büro hat, haben sich als Ansprechpartner zur Verfügung gestellt.
Beide gestehen, dass sie seither schon mal schauen, ob nicht ohne ihr Wissen an anderer Stelle eine Kamera angebracht wurde. »Es bleibt ein ungutes Gefühl. Das ist ja einer der gruseligen Effekte dabei«, sagt Tremmel. Als Politik- und Soziologie-Student hat er sich mit Datenschutz im Internet und Kontrolle durch den US-Geheimdienst NSA befasst, aber nicht gedacht, dass er mit dem Thema einmal auf diese Weise konfrontiert sein könnte.
Knödel sagt kopfschüttelnd: »Ich bin in der DDR aufgewachsen. Ich war das mal eine Zeit lang gewohnt.« »Man denkt an die Stasi. Man denkt an den Film 'Das Leben der Anderen'«, haben die Bewohner in ihrem Brief geschrieben und klargemacht, dass sie das Ganze als »Unverschämtheit« betrachten. Sie fühlen sich ausspioniert und bespitzelt. Womöglich wären sogar Bewohner in ihren Wohnungen gefilmt worden, wenn der Nachbar nicht abgelehnt hätte. (GEA)