GOMARINGEN. Es gab eine Zeit, da war Gomaringen gastronomisch dichter besiedelt als heute. »Allein im Umkreis von 500 Metern können wir rund zehn Betriebe nachweisen«, erklärt Stephan Rilling vom Schwäbischen Albverein und deutet auf das Alte Rathaus. »Das Waldhorn ist aber tatsächlich noch das einzige der alten Wirtshäuser, das hier übrig geblieben ist.« Vom Gehweg am kleinen Parkplatz aus wären sie - würden sie denn noch stehen - wohl alle zu sehen: der Hirsch, der Ochse, der Schwanen. Ein paar Straßen weiter hat wohl einst ein Wirt am Linsenhof in der Rose ausgeschenkt und dort in der Nähe hängt noch das Schild des Adlers, der wohl mindestens seit 1660 bewirtschaftet wurde.
Insgesamt 42 Gastronomien und Wirtshäuser hat Rilling bislang gezählt, die seit dem späten 17. Jahrhundert nachweisbar sind - inklusive Restaurants, Vereinsheime und Imbisse, die bis in die Gegenwart reichen. »Eben alles, wo's was zu essen oder zumindest zu trinken gab.« Dabei wird zwischen Schänken und Schildwirtschaften unterschieden - letztere hatten das Recht, neben Getränken auch Essen und Übernachtungen anbieten. Bis zu sieben solcher Schildwirtschaften soll es in Gomaringen über die Jahrhunderte gegeben haben. Von den Wirtshäusern im engeren Sinne ist heute noch das Waldhorn an einigen Wochentagen geöffnet, neben der Krone in Hinterweiler und dem modernen Roots, das im ehemaligen Alznauer Hof eingezogen ist, haben vergleichbare Etablissements in Gomaringen die Zeiten aber nicht überdauert.
Diesen alten Wirtshäusern ist Rilling auf der Spur. Die Idee kam ihm, als er beim Besuch der Grundgesetzgalerie in Gomaringen durch den Ort wandelte. »An einigen der Plätze dachte ich mir: Hey, da war doch mal ein Wirtshaus.« Etwaige Standorte als eine Wanderroute aufzuziehen, sei aber eher ein »Zufallsprodukt« seiner Tätigkeit für den Albverein gewesen. »Wir beschäftigen uns neben dem Wandern und der Natur auch mit der Heimat, Kultur und Geschichte«, erzählt Rilling. Als klar war, dass er die Idee umsetzen wollte, musste er nicht lange überlegen und hat die Historikerin kontaktiert, die ihm bei seiner Suche wohl am besten helfen konnte: Beatrice Burst.
Burst hat über Jahrzehnte intensiv die Geschichte der Wiesaz-Gemeinde erforscht und sowohl das Gomaringer Auswanderer- als auch das Ortsfamilienbuch verfasst, die vom Geschichts- und Altertumsverein Gomaringen herausgegeben werden. Meterweise Achivmaterial hat sie dafür gesichtet, Inventuren und Teilungen sowie Kirchenbücher studiert - und wusste daher genau, wo sie nach Informationen über Wirtshäuser suchen musste. Trotz aller Vorarbeit: »Über sechs Wochen saß ich dran, an den Gasthäusern«, sagt Burst. Rilling sei auf sie zugekommen und hatte sie gebeten, mehr über die historischen Einrichtungen in Erfahrung zu bringen. Und das ging am besten über die Wirte.
Denn Adressen, wie man sie heute benutzt, gab's lange Zeit noch nicht. »Früher wurden nur Nebenlieger angegeben, keine Hausnummer - und manchmal auch nur das Quartier«, weiß Burst. Die Rose auf dem Linsenhof ist so ein Beispiel: Nachweisbar als »Rosenwirt« ist ein gewisser Johann Jacob Rein, der laut Quelle am 9. Juli 1762 geboren und 1812 in Russland an der Front gefallen ist - aber wo genau sich das Gasthaus befand, ist unklar. »Irgendwo hier um die Linsenhofstraße muss es aber gewesen sein«, sagt Rilling.
Andere Tücken der Forschung liegen am überlieferten Namen. »Es gab mindestens drei Hirsche in Gomaringen«, vermutet Burst. Ein Johannes Kemmler lässt sich 1708 als »Hirschwirt« greifen, allerdings allgemein »auf dem Rain« verortet - wohl, so die Vermutung Bursts, in der heutigen Straße »Hoher Rain«. Deshalb kann dieser Hirsch kaum die »Herberge zum Hirsch« sein, die 1741 in einem Vogteilagerbuch erwähnt und einem Christoph Heinrich Pfeiffer zugeschrieben wurde, der ein frühneuzeitlicher Wundarzt (»Chirurgus«) war und es später sogar zum Bürgermeister gebracht hat. »Er stand zwar selber nicht als Wirt drin, aber die Herberge könnte von seiner Frau geführt worden sein«, denkt Burst. Die Historikerin verortet die Herberge wegen der Ortsangabe »auf der Straß« hinter dem Alten Rathaus, da so früher die heutige Rathausstraße hieß. »Da stand mal ein stattliches Haus, das leider völlig verwahrlost war und schließlich abgerissen wurde. Da könnte die Herberge drin gewesen sein.«

Bei einem der ältesten nachgewiesenen Wirtshäuser in Gomaringen kommt für Rilling ein spezieller Ort in Frage: Die kleine Wiesaz-Insel in der Bachstraße. »Wir haben nur die Information, dass um 1700 ein gewisser Martin Rilling 'zwischen den Bächen allseits stehend' ein Gasthaus betrieben haben soll«, sagt Rilling, der nach eigener Aussage kein Vorfahr des über 300 Jahre alten Wirts ist. Nachweise für diese Vermutung gebe es im Moment aber keine.
Leichter ist es bei der alten Schildwirtschaft »Sonne«, die 1779 erbaut und im Jahr 1854 von Conrad Ruggaber gekauft wurde: »Die Wirtschaft zur Sonne war feil, und ich erwarb sie mir um die Summe von 1.050 Gulden«, heißt es aus dessen Lebenslauf. Ruggaber vertauschte aber die Standorte mit dem »vorteilhafter gelegenen Bierhaus« gegenüber - unter der Bedingung, dass im alten Haus »später daselbst nie eine Wirtschaft errichtet werden darf.« Die Konkurrenz war wohl schon groß genug.
Doch so leicht nachvollziehbar ist es selten. Häufig erschweren die wenig kreativen Vornamen die historische Suche. »Es gab so viele Johann George«, seufzt Burst. Zum Beispiel Johann Georg Kern, der vermutlich das Gasthaus Lamm in der Brunnengasse Anfang des 19. Jahrhunderts betrieben hatte. Oder Johann Georg Braun: Bauer, Kronenwirt und Bürgermeister von Stockach - wo auch sein Gasthaus war. »Das war eine Heidenarbeit«, bringt des Burst auf den Punkt. Und wer weiß, ob diese bereits am Ende ist: Wie Rilling bei seiner ersten Wanderung erlebte, wusste der ein oder andere Gomaringer noch von Gastronomien, die es bislang noch nicht auf die Liste geschafft haben. Vielleicht erhebt sich doch noch ein altes historisches Gemäuer aus einem unscheinbaren Gomaringer Plätzchen. (GEA)