TÜBINGEN. In den meisten Teilen Deutschlands und bei fast allen Sorten konnten Winzer weniger ernten als im Vorjahr. Nach Schätzungen des Statistischen Bundesamtes fällt die Weinlese um gut sieben Prozent geringer aus als im Mittel der vergangenen sechs Jahre. Allerdings mit großen Unterschieden vom Normalertrag bis zum Totalverlust. Ein Grund für den Rückgang ist, dass das niederschlagsreiche Frühjahr das Auftreten von Pilzkrankheiten, insbesondere dem Falschen Mehltau (Peronospora), begünstigt hat. Zudem haben Extremwetterereignisse wie Spätfröste, Hagel, Stürme und Starkregen regional der Weinernte geschadet. Nach Schätzungen des Deutschen Weininstituts beläuft sich der Rückgang in Württemberg auf ein Viertel.
Viele Pilze wegen Feuchtigkeit
»Dieser Jahrgang wird uns als arbeitsintensiv und anspruchsvoll in Erinnerung bleiben«, sagt Christine Müller. Ihr Hektar Rebfläche befindet sich in Unterjesingen. Dort betreibt sie auch ein Weinlabor. Die Winzerfamilie hat außerdem einen Hofladen, veranstaltet regelmäßig Besen und beteiligt sich an Weinfesten. »Wegen der Feuchtigkeit gab es viele Pilze und Pflanzenschutzmittel waren unverzichtbar«, sagt Müller. Die Weinreben mussten rechtzeitig und öfter behandelt werden als sonst. Müller baut unter anderem Grauburgunder, Johanniter, Spätburgunder und pilzresistente Sorten wie Cabernet-Cantor an. »Die Ernte war solide«, sagt Müller.
Zwar sei bei einigen Sorten der Ertrag niedriger, dafür sei die Qualität gut, insbesondere beim Müller-Thurgau. »Wir mussten bei vielen Zottern faulige und lilafarbene Beeren von Hand entfernen«, sagt Müller. Das bedeutet viel Arbeit für sie und die Helfer bei der Lese. »Der warme August hat noch mal für eine gute Entwicklung gesorgt und die Trauben konnten reifen«, berichtet Müller. Vom 10. September bis 24. September dauerte diese. »In zwei Wochen war alles erledigt«, sagt Müller.
Weinbau als Hobby
Die Ernte erfolgt fast immer im September und sie rechnet mit etwa 4.000 Litern Ertrag. »Die Familie, meine Eltern, meine Schwester und ihr Mann und viele Bekannte und Verwandte helfen jedes Jahr mit«, so Müller. Sie wissen bereits, worauf es zu achten gilt. Dennoch zeige sie vor der Lese am Morgen immer Beispiele, was raus muss und was in den Eimer kann. Hauptberuflich arbeitet die studierte Lebensmittelingenieurin Müller halbtags an der Uni-Klinik im Bereich Arbeitssicherheit. »Vom Weinbau alleine könnte ich nicht leben«, sagt Müller. »Das ist mehr ein schönes Hobby zum Ausgleich.«
Besonders hart hat es Bio-Winzer Christophe Lemeunier aus Entringen getroffen. »Wir haben nur die halbe Menge vom Vorjahr und ein Drittel verglichen mit dem Jahr 2022«, sagt Lemeunier. Er hat vor einiger Zeit die Weinberge des legendären Entringers Wolfgang Kost übernommen. Als Grund führt der hauptberufliche Lehrer Lemeunier vor allem die lange Nässe an. Der Spätfrost habe vor allem dem Kerner geschadet. Hinzu kam ein Hagel Ende Mai dieses Jahres. »Ich vermute, dass der Hitzestress im Jahr 2023 den Pflanzen ebenfalls zugesetzt hat«, so Lemeunier. Die Trauben waren sichtbar kleiner. Aus seinen 0,4 Hektaren Anbaufläche in Entringen und 0,2 Hektaren in Unterjesingen wird er dieses Jahr voraussichtlich nur 550 Liter Ertrag bekommen. Zuvor waren es 1.500 bis 2.000 Liter.
Von Mitte September bis Mitte Oktober lief die Ernte. »Es werden feine Weiner, mit nicht zu viel Alkohol«, sagte Lemeunier. Mit 80 bis 90 Öchsle liegen die Sorten etwa 5 Öchsle unter dem Vorjahr. Er baut unter anderem Acolon, Gewürztraminer, Kerner, Müller-Thurgau und Spätburgunder an. Lemeunier setzt wie die meisten hiesigen Winzer auf Direktvermarktung bei Besen, Weinfesten und im lokalen Einzelhandel. Doch bevor es soweit ist, geht es nach der Ernte nun an den Ausbau. Und der ist bekanntlich für die Qualität der späteren Produkte ebenso entscheidend. (stb)