TÜBINGEN. Es kann einem doch etwas mulmig werden, wenn man den Blick über den großen Teich wagt, hin zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Mit der erneuten Präsidentschaft Donald Trumps befindet sich die älteste Demokratie der Welt so sehr im Wandel, wie seit ihrem über 250-jährigen Bestehen nicht mehr. Im Inneren werden Institutionen umgekrempelt oder ersatzlos abgeschafft, in der Außenpolitik alten Bündnispartnern vor den Kopf gestoßen und der Schulterschluss zu Autokraten gesucht. Die Weltordnung scheint sich zu wandeln. Doch kein Grund zur Panik, sagt Katharina Luther. »Es ist eine Herausforderung. Aber in Europa oder Deutschland in eine Panikspirale zu verfallen, das macht keinen Sinn.«
Die promovierte Amerikanistin leitet seit über zwei Jahren das Deutsch-Amerikanische Institut (d.a.i.) in Tübingen. »Wir sind die Amerika-Erklärer«, sagt Luther. »Wir versuchen, für ein grundlegendes Verständnis zwischen den Bürgern hier und den Bewohnern der USA zu sorgen.« Nicht auf einer grundsätzlich politischen Ebene - schließlich könne Luther weder für Trump, noch für einen anderen Präsidenten sprechen - sondern auf einer zwischenmenschlichen Ebene, einer »people-to-people-Ebene«. Brücken zueinander zu bauen, das sei ihre Aufgabe. »Und das ist heute so wichtig wie wohl noch nie.«
Dialog funktioniert nur, wenn sich die Menschen ernst nehmen
Zugegeben: Die jüngste Präsidentschaftswahl habe eine »spezielle Qualität«, wie es die 37-Jährige ausdrückt. Konkreter könne sie nicht werden, als Institutsleiterin müsse sie sich neutral verhalten. Aber um zu verstehen, warum viele Amerikaner in Trump einen Problemlöser sehen, muss man den Spieß auch mal umdrehen, auch das gehöre zur Vermittlungsarbeit. »Für 50 Prozent derjenigen, die in den USA gewählt haben, war der Amtsantritt Donald Trumps am 20. Januar ein ganz toller Tag.« Erst, wenn man diese Menschen und auch den Präsidenten ernst nehme, könne ein Dialog wirklich funktionieren. »Wenn man die Herausforderungen der amerikanischen Gesellschaft auf die Bürgerebene runterbricht, dann gibt es viele Parallelen zwischen Deutschland und den USA - und dann ist man sich doch plötzlich ähnlicher, als es auf den ersten Blick vielleicht scheint«, erklärt Luther.
Die Inflation sei ein gutes Beispiel dafür. Man müsse verstehen, was die Teuerungsrate in den Bürgern auslöst: In den USA bezahle man für einen Haushaltsgegenstand wie Küchenrollen zwischen zehn und 13 Dollar. »Auch das Benzin ist unfassbar teuer geworden - und das in einem Land von der ungefähren Größe Europas, in dem ohne Auto nichts geht.« Natürlich sei die Inflation eine komplexe Sache und nicht einfach von heute auf morgen zu lösen - trotzdem: »Das ist eine Sorge, die den Alltag der Menschen bestimmt.« Und das Problem sei unter einer demokratischen Regierung auch nicht verschwunden. In Deutschland könne man ebenfalls beobachten, dass finanzielle Sorgen zu einer Veränderung des Wahlverhaltens führen.
Je komplexer die Probleme, desto wichtiger die Arbeit
Für Luther bedeutet das: Je komplexer die Probleme sind, desto wichtiger wird die Arbeit des Instituts. Es sei »schockierend« gewesen, als die ehemalige Ampel-Regierung im Zuge der Haushaltsverhandlungen rund 40 Prozent der Mittel, die an die insgesamt zwölf Deutsch-Amerikanischen Institute gehen, ersatzlos streichen wollte. »Für uns als drittgrößtes d.a.i. in Deutschland wäre das vielleicht nicht existenzgefährdend gewesen, aber existenzverändernd«, erklärt die 37-Jährige. Aber: »In diesen Zeiten Gelder zu streichen, ist das falsche Signal.« Kein Partner sei für Deutschland so wichtig wie die USA. »Verständnisarbeit ist heute wichtiger denn je. Eigentlich müsste man voll reinbuttern und sagen: gerade jetzt!« Ob das allerdings unter der neuen Regierung passiere, werde man sehen.
Für ein Jahr hingegen seien die Gelder sicher, die das Land Baden-Württemberg beisteuert. Auch die Stadt Tübingen unterstütze das d.a.i. trotz schwieriger Haushaltslage nach wie vor ohne Kürzungen. »Auf diesen Ebenen passt also alles und für diese Unterstützung sind wir sehr dankbar«, sagt Luther. Am sichtbarsten sei das Institut in der Stadt durch Kulturveranstaltungen - egal ob Lesungen, Ausstellungen oder Musik. Besonders im Schulprogramm zeige sich die Arbeit des d.a.i. sehr gut: Entweder besuchen Mitarbeiter die Klassen im ganzen Regierungsbezirk in den Schulen oder laden die jungen Menschen nach Tübingen ein. »Richtig angeleitet können alle Altersstufen einen kritischen Diskurs führen«, ist sich die Direktorin sicher. »Über Kunst und Kultur finden die Schüler unterschiedliche Zugänge zu den Techniken des Miteinander-Redens - und merken vor allem schnell, dass sie das können.« Diese Form der »Präventivarbeit« - wie Schülern den Unterschied zwischen »Fake News« und seriösen Nachrichten in einem Workshop beizubringen - ist kaum zu ersetzen. Denn: »Wir haben nicht die Aufgabe eines Oberlehrers. Man kann nur die erreichen, die erreicht werden wollen. Aber etwas bleibt immer hängen.«
Ort der Begegnung
Die große Menge - das ist die Erfahrung der jungen Direktorin - wolle aber vor allem das: zusammenarbeiten, einander verstehen, Probleme lösen. Das beobachte Luther auch immer wieder im unmittelbaren Diskurs zwischen Wählern der demokratischen und republikanischen Partei, die ihr »fundamental offenes Haus« - also ohne Konsum- oder Mitgliedschaftszwang - besuchen. »Natürlich gibt's da auch mal Streit, das ist ja nichts Schlimmes«, sagt Luther. »Das d.a.i. ist ein Ort für genau diesen Dialog, es ist ein Ort der Begegnung.« Und da merke man schnell, dass viele unterschiedliche Ansichten im unmittelbaren Gespräch gar nicht mehr so unversöhnlich seien, wie es in den Sozialen Netzwerken häufig den Anschein hat. Hingehen. Miteinander sprechen. Dann gibt's auch keinen Grund zur Panik. (GEA)