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Wie Tübingen beim Licht spart

Nicht alles abschalten: Tübingen setzt bei der Straßenbeleuchtung auf Bewegungsmelder. Das reduziert den Stromverbrauch um bis zu 90 Prozent.

»Blaue Stunde« in Hirschau: Das Dorf hat seit einem Jahr auf Licht nach Bedarf umgerüstet.  FOTOS: GISEL
»Blaue Stunde« in Hirschau: Das Dorf hat seit einem Jahr auf Licht nach Bedarf umgerüstet. Foto: Brigitte Gisel
»Blaue Stunde« in Hirschau: Das Dorf hat seit einem Jahr auf Licht nach Bedarf umgerüstet.
Foto: Brigitte Gisel

TÜBINGEN. Finster ist es jedenfalls nicht. Wer im Tübinger Stadtteil Hirschau am frühen Abend mal schauen will, wie dunkel es in einer Gemeinde durch »Licht nach Bedarf« werden kann, staunt. Weder ist in der Hauptstraße die Nacht schwarz, noch sind in Gässchen oder Nebenstraßen alle Katzen grau. Auch in Hirschau leuchten Straßenlampen die Wege aus. Hat die Gemeinde womöglich heimlich wieder auf Dauerbetrieb umgestellt? Ortsvorsteher Ulrich Latus schüttelt den Kopf und lacht. »Gell, das merkt man gar nicht.«

Hier ist hochmoderne Technik im Spiel. Nähern sich Auto, Rad oder Fußgänger, dreht die Lampe unmerklich auf und vergrößert ihren Lichtkegel. Und nicht nur das: Per Funk schickt sie den beiden nächsten Leuchten einen Weckruf, sodass quasi ein Lichtteppich entsteht, der das unangenehme Gefühl, allein durch eine düstere Straße zu laufen, gar nicht erst aufkommen lässt. Der Erste dreht also das Licht hoch. Kurz wird es hell, doch wenn die Spaziergänger vorbei sind, versinken die Laternen innerhalb von zehn Sekunden wieder in einen Dämmerschlaf und sparen Strom – mit Licht nach Bedarf lässt sich der Verbrauch für die Straßenbeleuchtung um bis zu 90 Prozent senken. Was der Bewegungsmelder an der heimischen Haustür ist »Licht nach Bedarf« für Kommunen. »Licht ist da, wo man es braucht«, sagt Latus.

Ortsvorsteher ist begeistert

Der Ortsvorsteher jedenfalls ist begeistert. Und das in mehrerer Hinsicht. Zum einen natürlich wegen des gesunkenen Energieverbrauchs. Eine Standard-Straßenlaterne vom Typ Natriumdampfhochdruckleuchte verbraucht rund 80 Watt, die neuesten LED-Lampen mit integriertem Bewegungsmelder kommen laut Stadtwerke mit acht Watt aus – etwas mehr als halb so viel wie ein älteres TV-Gerät im Standby-Betrieb. Fahren die Leuchten hoch, steigt ihr Energieverbrauch für ein paar Sekunden auf 20 Watt.

Doch das ist nicht der einzige Effekt. »Die neue Beleuchtung ist viel insektenfreundlicher«, sagt Latus. Lichtverschmutzung gilt schließlich als einer der zentralen Faktoren für den Rückgang der Insektenvielfalt. Von oben, etwa von den Spazierwegen oberhalb von Hirschau oder von der Wurmlinger Kapelle aus, wirkt der Ort am Abend dunkel. Nur vereinzelt blitzen Lichter aus erleuchteten Fenstern der Wohnhäuser. Ein bisschen sieht es aus, als sei im Ortskern die Straßenbeleuchtung ausgefallen. Doch das täuscht. Das kommt, weil die modernen LED-Leuchten ausschließlich nach unten abstrahlen. Nach oben bleiben sie dunkel.

Das freut die Tierwelt – und alle, die zuvor eine helle Laterne vor ihrem Schlafzimmerfenster hatten. Wie groß der Unterschied ist, lässt sich unschwer mit einem Blick gen Himmel feststellen. Über Rottenburg und auch in Teilen des Hirschauer Industriegebiets strahlt am frühen Abend die Straßenbeleuchtung in voller Stärke.

Seit einem Jahr hat Hirschau seine 395 Straßenleuchten umgerüstet. Die Gemeinde wurde damit zum Pilotprojekt der Tübinger Stadtwerke. Erstmals wurden nicht nur einzelne Straßenzüge, sondern ein ganzer Stadtteil mit der neuen Technik ausgerüstet. Zuvor hatten die Stadtwerke die neue Technik an 150 Leuchten im Mühlenviertel, dem Ortsteil Kreßbach, dem Alten Botanischen Garten und der Eisenbahnstraße getestet. »Es gab keine Beschwerden von Anwohnern und Verkehrsteilnehmern«, hieß es dazu im Beschlussantrag für den Tübinger Gemeinderat.

Auch Tübingens OB Boris Palmer ist ein großer Fan von »Licht nach Bedarf«. »Das Pilotprojekt in Hirschau war erfolgreich, daher sehen wir jetzt eine Million Euro pro Jahr für die Investition vor«, sagt er dem GEA. »2030 steht im Klimaschutzprogramm, bis dahin soll die gesamte Stadt umgerüstet sein.« Tübingen wieder einmal bei den Trendsettern. »Unser Vorbild war der Kanton Bern, dort haben wir uns das angeschaut und dann mit Herstellern ein Modell für Tübingen entwickelt«, so Palmer weiter. »Meines Wissens macht das so keine andere deutsche Stadt.«

Billig ist so eine Umstellung nicht, 650.000 Euro hat der Tübinger Gemeinderat im Jahr 2020 allein für das Projekt in Hirschau bewilligt, 50.000 Euro davon gab es als Förderung vom Bund. Latus geht davon aus, dass sich die Investition für die Kommune in zehn Jahren auch finanziell ausgezahlt hat. Drei Wochen hat die Umstellung im vergangenen Jahr gedauert. Der Gemeinde kam dabei zugute, dass die neuen Leuchten an den alten Masten montiert werden konnten.

Noch keine Beschwerden

Beschwerden hat es in Hirschau jedenfalls keine gegeben. »Die Leute haben es gar nicht gemerkt«, mutmaßt Latus. Schlechter könne die Beleuchtung also nicht geworden sein. »Sonst hätten sich sicher Leute gemeldet.« Und von defekten Leuchten kam ihm auch nichts zu Ohren. »Ich habe den Eindruck, die halten länger als die alten.«

Leicht verstimmt ist Latus nur deshalb, dass in Hirschau derzeit trotz der modernen Technik die Lichter nachts um 1 Uhr ebenso ausgehen wie in allen anderen Tübinger Stadtteilen. »Reine Symbolpolitik«, moniert der CDU-Mann in Richtung des Tübinger OB. »Man hat uns gesagt, dass der Ort nicht getrennt geschaltet werden kann«. 10.000 Euro müsste Hirschau für eine neue Schaltung zahlen, um auch nach 1 Uhr nachts Nachtschwärmern heimleuchten zu können. Palmer würde am liebsten drauf verzichten. Seine Vision: »Langfristig erübrigen sich aber natürlich Abschaltungen bei Nacht auch unter Energiegesichtspunkten, wenn wir komplett auf Licht nach Bedarf umgestellt haben.« (GEA)