TÜBINGEN. »Man sieht so viel«, erzählt Amelie Hornig. In der warmen Septembersonne tut sich eine Biene - passend zur Unistadt Tübingen - an der Blüte einer Studentenblume genüsslich, Schmetterlinge umflattern faustgroße Tomaten, und sogar eine Wespenspinne hatte sich kürzlich hier niederlassen. »Der ging es hier gut, das Netz war immer voll.« Nun sei sie aber fort - vielleicht geht sie in einem der anderen zahlreichen Gärten, die auf einem kleinen Feld im Ammertal eingerichtet sind, weiterhin auf Beutefang.
Die 20-jährige Studentin betreibt seit Mai einen Saisongarten nahe des Schwärzlocher Hofs. Auf 36 Quadratmetern baut Hornig zusammen mit ihrem Partner bis in den Oktober hinein kunterbuntes Gemüse, frisches Obst und aromatische Kräuter an. Nebenan machen zahlreiche Hobbygärtner das Gleiche: Auf einer Bolzplatz-großen Fläche sind Parzellen mit kleinen Holzmarkern abgesteckt und werden von nahezu allen Generationen in Eigenregie bewirtschaftet. »Ich bin wohl eine der Jüngsten hier«, gibt die 20-Jährige zu. Viele Familien seien dabei, und auch ältere Menschen, die schon im Ruhestand sind.
Diversität bringt das Feld zum Blühen
Die Diversität der Zusammensetzung tut gut: Die Gemüsebauern stehen sich mit Rat und Tat zur Seite. Erfahrene Gärtner haben immer Tipps für den Nachwuchs, der vielleicht zum ersten Mal den Samenbeutel in der Hand hat. Wer mal im Urlaub ist, dem wird vom Nachbarn das Feld gegossen oder man packt beim Wasserschleppen mit an. »Man hilft sich«, bringt es die Studentin auf den Punkt. Kennengelernt haben sich alle bei einem ersten Treffen Anfang Mai, ehe es mit der Arbeit losging.
Saisongärten seit zwei Jahren in Tübingen verpachtet
36 Quadratmeter vorbereitetes Ackerland für eine Pacht von 75 Euro von Mai bis Oktober - Wasser aus einem Brunnen und Gartengeräte inklusive: Für diese Konditionen stellen die Landwirte Jens und Paul Weimar einen Teil ihres Landes für Hobbygärtner und solche, die es noch werden wollen, zur Verfügung.
Über 40 Gemüsebauern haben sich im laufenden Jahr für das Stadtentwicklungsprojekt angemeldet, das die Unistadt unterstützt und mit erarbeitet hat. Das Brunnenwasser, das alle Pächter abschöpfen können, kommt aus einem Brunnen, der von der Stadt bezahlt wurde. Saatgut und Pflanzen besorgen sich die Gärtner selbst. Amelie Hornig hat dafür geschätzte 100 Euro ausgegeben - zusätzlich zur Pacht.
»Im Ammertal herrscht ein anspruchsvolles Klima, es kann sehr nass werden«, weiß Landwirt Paul Weimar. Das erschwere die Vorbereitung der Parzellen, sowohl im Frühjahr als auch im Herbst - weshalb es der Bauer nicht so streng mit den Pachtzeiten nimmt. Dieses Jahr bleiben die Gärten wetterbedingt ein wenig länger bestehen. »Da muss man flexibel sein.«
Wichtig ist ihm: Bei den Gärten handelt es sich nicht um ein Freizeitgrundstück. Keine Grillstelle, keine Partys. »Es gibt auch keine Parkmöglichkeiten und Autos sind nicht gestattet«, erklärt der Landwirt. Im kommenden Jahr geht es Projekt in die dritte Runde. »Wenn die Nachfrage besteht, spricht nichts dagegen, die Saisongärten noch auszuweiten.« (GEA)
Ein wenig Vorerfahrung bringt Hornig bereits mit, auch wenn sie in diesem Jahr das erste Mal einen Saisongarten gepachtet hat. Von Freunden der Familie, die sich auf einem Hof selbst versorgen, hat sie sich schon vorab Ratschläge geholt. Und auch in einem Buch hat sie genau nachgelesen, was funktioniert, wie oft gegossen werden muss und welche Pflanzen miteinander funktionieren oder sich gar die Nährstoffe gegenseitig aus der Erde stehlen.
Tomaten ploppen auf, die Gurken schaffen's nicht
»Ringelblumen halten zum Beispiel Fressfeinde ab«, hat die 20-Jährige gelernt. Also säte sie kurzerhand einige Exemplare des Korbblütlers, den sie später zu einer Salbe verarbeitete, nahe ihrer Nutzpflanzen aus - als eine Art Schutzwall gegen hungriges Getier. »Manche Pflanzen harmonieren auch miteinander und ergänzen sich im Aroma« - so wie Basilikum und Tomaten. Letztere hatte Hornig indes nicht absichtlich gepflanzt, aber irgendwie müssen die Tomaten ihren Weg aus einem anderen Garten auf ihre Parzelle gefunden haben. Ein paar Samen hatte sie zudem später noch von ihrer Nachbarin bekommen. Über die Monate wurde Hornigs Saisongarten ein Kaleidoskop der hier wachsenden Nutzpflanzenwelt - vielfältig, bunt und üppig.
Und auch diese Diversität tut gut. Zwar gedeihen einige Gewächse prächtig, andere verenden hingegen kläglich. Mit den Gurken hat's die ganze Saison nicht geklappt, auch der Brokkoli hat sich geziert. Doch unter dem Schutz der abgestorbenen Pflanzen strecken plötzlich die Totgeglaubten ihre Knospen in Richtung Sonne. Schnell wird der Studentin klar: Die Parzelle ist ein spannender Experimentkasten. Manches funktioniert eher problemlos, wie Wirsing, Rotkohl oder Zucchini, anderes eben nicht. »Die Linsen hier sind nicht gewachsen«, sagt sie und deutet auf eine kleine Reihe verdorrter, brauner Pflanzenstängel.
Da in dem artenreichen Garten aber so viel erfolgreich wächst, tun kleine Katastrophen nicht weh - wie beispielsweise eine von einer Maus gefällte Maisstaude. Trotz kleinerer Rückschläge hat die Studentin zahlreiche Kilogramm Gemüse in den vergangenen Wochen geerntet. Geschmacklich seien die eigenen Feldfrüchte viel intensiver als das Standard-Repertoire aus dem Supermarkt. »Die Zucchini schmecken richtig nussig, die Tomaten sind viel stärker im Aroma«, zählt die Studentin auf. Durch die breite Auswahl und weil jeder Erntetag doch auch wieder eine Überraschungskiste sei, koche sie »viel vielfältiger. Und ich bin viel öfter draußen.« Überschüssiges werde mittlerweile eingekocht - auch ein ganz neues Hobby für die 20-Jährige, die aus ihrer Tätigkeit in dem Garten erwächst.
Ganz besonders freut sich Amelie Hornig auf ihr Prachtstück, einen Muskatkürbis: »Aus einem Samen ist eine mehrere Quadratmeter große Pflanze entstanden«, staunt Hornig noch immer und deutet auf die am Boden entlangschlängelnden Ranken. Eine der drei Früchte wird wohl einen zweistelligen Kilogramm-Wert auf die Waage bringen, wenn er fertig gewachsen ist - frei nach einer Schätzung beim Anheben des massiven Kürbisses.
So satt die Ausbeute auch klingt: Es war viel Arbeit. »Gerade am Anfang haben wir sehr viel Zeit in den Garten investiert«, erinnert sich die Studentin. Im Mai wurde die erste Saat ausgeworfen, mit den Karotten war's besonders spannend. »Die brauchen lange und keimen ungefähr 14 Tage lang. Gerade als Anfänger fragt man sich da: Kommt da noch was, oder sind sie schon kaputtgegangen?« Täglich habe sie nachgeschaut, dass es den Setzlingen gut gehe, heute - auch nach einer Saison Erfahrung - sitzen die Handgriffe, und der Garten ist saisonbedingt auch nicht mehr so pflegeintensiv. »Aber im Juni und Juli das Unkraut zu jäten, war schon anstrengend«, gibt Hornig zu und schmunzelt.
Für sie ist klar: Nächstes Jahr will die 20-Jährige wieder gärtnern. Das Prinzip der »Drei Schwestern« habe es ihr angetan, eine indigene Ackerbaumethode: Bohnen, die dem Boden Stickstoff liefern, Mais, der als Kletterstange für besagte Bohnen fungiert und Kürbisse, die das Unkraut verdecken und durch die breiten Blätter die Feuchtigkeit im Boden halten. Kürbis und Mais wiederum profitieren vom Stickstoff der Bohnen. »Es ist ein Privileg, das als Hobby zu machen«, sagt die Studentin. Für ihre Oma sei der Gemüseanbau noch zum Überleben wichtig gewesen - für die junge Frau ist es ein Stück Einklang mit der Natur. (GEA)


