TÜBINGEN. Tübingens Sozialbürgermeisterin Gundula Schäfer-Vogel ließ bei der jüngsten Sitzung des Ausschusses für Kultur, Bildung und Soziales erst gar keine falschen Vorstellungen aufkommen: »Es ist nicht möglich, eine hundertprozentig gute Lösung zu finden«, sagte sie vor dem Gremium. Auch Holger Chemnitz, Leiter des städtischen Fachbereichs Bildung, Betreuung, Jugend und Sport, pflichtete dieser Einschätzung bei: »Das Grundproblem ist so nicht zu lösen.« Denn: Tübingen hat zu wenige Kita-Plätze. Und wie diese städtischen Plätze vergeben werden, habe zu unerwünschten und ungerechten Effekten geführt.
Um das Vergabeverfahren in Zukunft fairer zu gestalten, hat die Stadtverwaltung eine Neufassung der Platzvergabekriterien vor den Ausschuss gebracht. »Das bislang praktizierte Punktesystem hat sich nicht bewährt«, gestand Chemnitz unumwunden ein. Man habe schlicht nicht die Kapazitäten, um die angedachte Detailsteuerung so umzusetzen, wie sie ursprünglich angedacht war. Die Kurzfassung: Familien bekommen nach zahlreichen Kriterien wie Beruf, chronische Krankheit der Eltern oder weil man das Kind allein erzieht, eine bestimmte Anzahl von Punkten. Je mehr Punkte, desto stärker der Anspruch auf einen Kita-platz.
Sind die Kinder erst einmal in der Krippe, werden diese zudem bei der Vergabe von Kindergartenplätzen bevorzugt. Die ursprüngliche Idee: So könne gewährleistet werden, dass die Kinder nicht wieder aus der Betreuung herausfallen.
Was auch geklappt hat – nur leider zum Leidwesen all derer, die keinen Krippenplatz bekommen haben. In der Praxis habe sich das bisherige System daher auf mehreren Ebenen als ungerecht entpuppt, wie die Stadtverwaltung betonte. So werden zum einen Kinder bei der Vergabe nicht berücksichtig, die in einer – bürokratisch ausgedrückt – »nicht-betriebserlaubten Situation« beaufsichtigt werden, wie beispielsweise in einer Spielgruppe. Auch rutschen Kinder bislang automatisch von der Krippe in den Kindergarten weiter, selbst wenn die Familie bei einer erneuten Prüfung nicht genügend Punkte bekommen würde, um den Platz überhaupt zu erhalten – wenn also beispielsweise ein Elternteil zwischenzeitlich den Job aufgegeben hat und damit Zeit hätte, sich zu Hause um das Kind zu kümmern. Oder die Großeltern nun doch nicht mehr zu Hause gepflegt werden müssen, weil sie mittlerweile einen Platz im Pflegeheim bekommen haben.
Elternbeirat übt Kritik
Zudem sei aufgrund dieser Vorteile die ohnehin schon hohe Nachfrage auf die Krippenplätze gestiegen. Das strapaziere nach Argumentation der Verwaltung allerdings das bereits überlastete System noch weiter. Man wolle deshalb die Bevorzugung beim Wechsel abschaffen.
Conrad Neumann vom Gesamtelternbeirat der Tübinger Kinderbetreuungseinrichtungen sah genau diesen Punkt kritisch. »Wir sind zwar insgesamt auf dem richtigen Weg«, brachte sich Neumann in die Diskussion ein. »Aber so besteht wieder die Gefahr des erneuten Herausrutschens aus dem System.« Für Kinder und Familien sei das fatal: Das soziale Gefüge des Nachwuchses könne wegbrechen, zudem verschwinde die Planungssicherheit der Familien, die sich auf das System verlassen haben. Ob diese »Rolle rückwärts« denn gerechtfertigt sei?
»Wir müssen alle Kinder mit einbeziehen, sonst fliegt uns das auf Dauer auch juristisch um die Ohren«, entgegnete Schäfer-Vogel. Zudem habe man als Verwaltung auch die Familien im Blick, die ohne Vertretung in Form eines Beirats dastünden. Das sicherste Kriterium sei es daher immer noch, nach Alter des Kindes zu entscheiden – weswegen nach dem neuen Vorschlag die Kinder sicher einen Platz im Kindergarten bekommen sollen, die im darauffolgenden Jahr eingeschult werden. Der Stadtrat stimmte den Ausführungen der Verwaltung zu – und entschied einstimmig für die neuen Vergabekriterien. (pru)