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Wie eine Gomaringerin mit einer schweren Krankheit lebt

Die Diagnose Multiple Sklerose verändert fast alles. In der Hand hat man letztlich bloß, wie man damit umgeht. Die erkrankte Sara aus Gomaringen hat dem GEA von ihrem Alltag mit Hürden, Ängsten und Willenskraft erzählt.

Eine stolze Mama posiert auf der Einschulung ihres Sohnes für ein Foto: Gefallen tun Sara die meisten Bilder wegen ihrer hängend
Eine stolze Mama posiert auf der Einschulung ihres Sohnes für ein Foto: Gefallen tun Sara die meisten Bilder wegen ihrer hängenden linken Gesichtshälfte heute nicht mehr.
Eine stolze Mama posiert auf der Einschulung ihres Sohnes für ein Foto: Gefallen tun Sara die meisten Bilder wegen ihrer hängenden linken Gesichtshälfte heute nicht mehr.

GOMARINGEN. »Es ist oft schwer«, sagt Sara Monterosso, als sie von ihrer Krankheit erzählt, die die kleine Familie vor vielen Jahren überkam wie eine Welle. 2009 habe alles begonnen, mit dem ersten Krankheitsschub - den Sara zur damaligen Zeit als solchen gar nicht identifizieren konnte. Gelegentliche Taubheitsgefühle der Backe und Zunge, die sie und auch einige Ärzte später ganz einfach dem »Stress« zuordneten. 2012 sei dann noch heftiger Lagerungsschwindel hinzugekommen. »Sobald ich aufgestanden bin, hat es mich gedreht«, erinnert sich die 37-Jährige zurück. Erst 2013 - ganze vier Jahre nach dem Auftreten der ersten Symptomen - diagnostizierten die Ärzte der jungen Frau die unheilbare Autoimmunkrankheit Multiple Sklerose (MS). Ein Schock für Sara und ihren Partner Marco.

Laut der deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) wird die Zahl der weltweit an MS-Erkrankten auf etwa 2,8 Millionen geschätzt. Aktuellen Daten des Bundesversicherungsamtes zufolge leben davon in Deutschland über 280.000 Betroffene. Die entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems betrifft sowohl das Gehirn als auch das Rückenmark. Wegen der vielfältigen Erscheinungsformen in Verlauf, Symptomen und Therapieerfolg wird die Erkrankung oft als »Krankheit der 1.000 Gesichter« bezeichnet. Das erfährt Sara Monterosso am eigenen Leib.

Schwangerschaft verändert alles

Seit 22 Jahren sind Sara und ihr Mann Marco (40) inzwischen ein Paar. Beide hegten einen großen Kinderwunsch. Bis zur Diagnose der Multiplen Sklerose weinte Sara viel. Die Unsicherheit, ob sie jemals Kinder bekommen könne, machte ihr sehr zu Schaffen: »Ich dachte, dass wir vielleicht keine Kinder bekommen könnten. Ich wusste ja gar nicht, was genau ich habe«. Heute machen ihre beiden Kinder Laura (11) und Diego (7) das Familienglück komplett. 2013 wurde Sara schwanger, die Ärzte gaben grünes Licht. Und mehr noch: Sie rieten der damals 26-Jährigen sogar zur Schwangerschaft. Dahinter steckt eine gute Absicht. Denn bisherige Erfahrungen und Studien deuten darauf hin, dass eine Schwangerschaft einen eher positiven Einfluss auf die Krankheit hat. Denn die während der Schwangerschaft produzierten Hormone und Antikörper beeinflussen das Immunsystem positiv, sodass viele werdende Mamas vor neuen Schüben geschützt sind. Die meisten schwangeren Frauen mit MS fühlen sich gut und sind leistungsfähig.

So erging es auch Sara in ihrer ersten Schwangerschaft. Nachdem sie in den Jahren zuvor immer wieder mit ihrer Gesundheit gehadert hatte und sogar ihren Job als Erzieherin zurückschrauben musste, ging es endlich wieder bergauf. »Nach 2013 war eigentlich alles an Symptomen weg und ich habe Vollzeit gearbeitet«, erzählt die 37-Jährige. 2016 entschieden sich die Eheleute Monterosso dann für ein weiteres Kind. »Wir haben uns überhaupt keine Sorgen gemacht«, sagt Marco. Heute wissen sie es besser.

Angst vor Stürzen und Verletzungen

Bei nur etwa einem Drittel der schwangeren Frauen mit der Diagnose MS kommt es zu einem Krankheitsschub. In Saras 28. Schwangerschaftswoche brach dieser vollkommen unvermittelt aus. »Auf der Arbeit meinte meine Kollegin zu mir: Mann Sara, siehst du schlecht aus«, erinnert sie sich zurück. »Mein Gesicht war entstellt, eine Backe hing nach unten. Ich wusste gar nicht recht, was los ist«. Alles ging ganz schnell, bis zur Entbindung blieb die werdende Zweifach-Mama in der Frauenklinik. Die Gefahr eines Sturzes mit Folgen, das wollte niemand in Kauf nehmen. Nach der Geburt dann der Schock: Der heftige Schub hat Saras rechte Gehirnhälfte entzündet. Seit diesem Tag ist alles anders.

Spendenaktion für barrierefreie Wohnung

Eine Freundin hat Sara ermutigt, eine Online-Spendenaktion zu starten. Das Geld möchte sie in einen Treppenlift und ein behindertengerechtes Bad investieren. So könnte die 37-Jährige nicht nur wieder eigenständig Konserven aus dem Keller holen oder sich in der Dusche frisch machen, sondern ein ganzes Stück Selbstständigkeit zurückgewinnen. Knapp 16.000 Euro sind bereits zusammengekommen, das Spendenziel liegt bei 37.000 Euro. Unterstützen kann man die Kampagne unter https://gofund.me/4b8a3eda. (kim)

In ihrem Alltag ist die 37-Jährige stark eingeschränkt. Zwar kann sie beispielsweise noch Autofahren, kann den Weg zu ihrem Wagen allerdings nicht alleine bewältigen. Das Treppen auf- und absteigen schafft sie ohne Hilfe nicht mehr. »Manchmal fühle mich zu Hause gefangen«, sagt sie. Eine unvollständige Lähmung der linken Körperhälfte, sowie Spastiken und Gleichgewichtsstörungen tragen dazu bei. Die Angst vor Stürzen ist groß - und berechtigt. Trotzdem will sich Sara ihr eigenständiges Leben nicht nehmen lassen und versucht »einfach aus Prinzip« vieles alleine. »Ich will mich nicht geschlagen geben und brauche kleine Erfolgserlebnisse«, erklärt die geborene Italienerin. Heute - sieben Jahre und zwei gesunde Kinder später - muss sich Sara mit mehr als unvorhergesehenen Schüben herumschlagen. Im Laufe der Zeit hat sich aus dieser Krankheitsform nämlich eine schleichende MS entwickelt. Kurz gesagt bedeutet das: Saras Zustand wird sich zwar langsamer, dafür kontinuierlich verschlechtern.

Mama - Kämpferin - Vorbild

Das Mama-Dasein erfüllt die junge Frau aus Gomaringen. Ihre Kinder würde sie für nichts auf der Welt eintauschen. Auf die ist sie auch besonders stolz. Denn sie gehen mit der Situation super um, sind eigenständig und helfen, wo sie nur können. Die Beziehung zu ihrem Mann hat sich durch die Herausforderungen verändert. »Gerade 2017, als alles eskalierte, hatte ich das Gefühl, ich würde ihn neu kennenlernen. Was macht er noch bei mir, hab ich mir gedacht. Ich konnte das nicht nachvollziehen«, gibt die Gomaringerin zu.

Die 37-jährige Sara Monterosso.
Die 37-jährige Sara Monterosso. Foto: Privat
Die 37-jährige Sara Monterosso.
Foto: Privat

Man kann nur mutmaßen, dass dieser ganz besondere Familienzusammenhalt ganz massiv dazu beiträgt, dass Sara Monterosso noch immer derart von innen heraus strahlt. Ihre beeindruckende Aura und Positivität bewegt Menschen in ihrem Umfeld. In einer Reha-Selbsthilfegruppe, an der sie eigentlich gar nicht mehr länger teilnehmen wollte, half sie anderen Erkrankten mit ihren Denkanstößen dabei, positiv zu bleiben. »Sie können nicht gehen, haben die Verantwortlichen zu mir gesagt. Sie sind die Optimistischste hier, und das, obwohl es Ihnen mit am schlechtesten geht«, erzählt Sara. »Mir geht es mental gut. Ich bin kognitiv fit, zum Glück. Man muss das Glück behalten, was man hat« ist das Motto der Löwenmama aus Gomaringen. (GEA)